2. November 2022 - Beglaubigte Abschrift
2 C 22/17 Verkündet am 02.11.2022
Kremin, Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Amtsgericht Altena IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn ,
Anlage
Klägers,
Prozessbevollmächtigter:
,
g e g e n
die
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte:
hat das Amtsgericht Altena
auf die mündliche Verhandlung vom 09.09.2022 durch den Direktor des Amtsgerichts Neuhoff
für Recht erkannt:
Es wird festgestellt, dass die Beitragserhöhung der Beklagten zur Krankenversicherung des Klägers mit der Versicherungsnummer
von EUR auf EUR-ausgesprochen zum 01.05.2016- unwirksam ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
i.H.v.120 % abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit
i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass eine von der Beklagten -einem Versicherungsunternehmen- vorgenommene Beitragserhöhung einer Krankenversicherung (Pflegezusatzversicherung) zum 01.05.2016 unwirksam ist.
Der am 24.05.1964 geborene Kläger hat seit dem 01.04.2013 bei der Beklagten eine Krankheitskostenteilversicherung im Rahmen einer Zahnzusatzversicherung nach dem Tarif “. Gemäß Nachtrag zum Versicherungsschein vom 08.01.2014
hat der Kläger seit dem 01.12.2013 zudem bei der Beklagten eine staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung (sog. Pflege-Bahr). Die Pflegezusatzversicherung bietet ergänzenden Versicherungsschutz für den Fall der Pflegebedürftigkeit und hat den Tarif “; die Versicherungsleistung beträgt
EUR pro Tag. Die vereinbarte monatlich zu zahlende Prämie ab Vertragsschluss beläuft sich auf EUR.
Der Versicherung liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zugrunde, die ein Recht zur Beitragsanpassung vorsehen.
Zum 01.05.2016 erhöhte die Beklagte die monatliche Versicherungsprämie für die Versicherung insgesamt auf EUR, wobei lediglich die Pflegezusatzversicherung um EUR auf EUR angepasst wurde. In dem Anschreiben aus März 2016 lautet es u.a. wie folgt:
„Warum steigen die Beiträge zum 1. Mai 2016?
Seit Jahren sind im Gesundheitswesen mehrere Trends zu beobachten, die die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Zum einen nimmt die Häufigkeit der Versicherungsfälle zu und zum anderen werden die Leistungen immer teurer. Des Weiteren haben die gestiegene Lebenserwartung sowie die andauernde Niedrigzinsphase Auswirkungen auf die Beitragsentwicklung.“
Der Treuhänder hatte zuvor am 24.02.2016 Prämienänderungen für bestimmte Personengruppen und Tarifstufen nach § 203 Abs. 2 VVG zugestimmt.
Der Kläger beanstandete die Erhöhung. Nachdem er den Bund der Versicherten mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte, wies dieser die Beklagte mit Schreiben vom 04.07.2016 u.a. darauf hin, dass die von der Beklagten genannten auslösenden Faktoren, die eine Beitragsanpassung rechtfertigen könnten, nicht nachvollziehbar seien. Die Beklagte wurde aufgefordert, binnen 2 Wochen die durchgeführte Beitragsanpassung umfassend und nachvollziehbar zu erläutern.
Mit Schreiben vom 14.07.2016 verwies die Beklagte auf die sog. Beobachtungseinheiten. Sofern bei einer Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung der kalkulierten und erforderlichen Leistungsausgaben der Sterbewahrscheinlichkeiten von mehr als 5 Prozent (sog. Auslösender Faktor) vorliege, müssen die Beiträge dieser Beobachtungseinheit im Hinblick auf sämtliche der Kalkulation zugrunde liegenden Rechnungsgrundlagen überprüft werden.
Weiterhin führt die Beklagte aus:
„Angesprungen ist der auslösende Faktor jedoch hinsichtlich der Sterbewahrscheinlichkeiten -in dem Informationsschreiben zur Beitragsanpassung als „gestiegene Lebenserwartung“ beschrieben-, so dass die Beiträge hinsichtlich aller Rechnungsgrundlagen zu überprüfen waren.“
Die Vergleichsberechnung für die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 hätte nunmehr ergeben, dass die aufgrund der Sterbetafel 2010/2012 erforderlichen Sterbewahrscheinlichkeiten deutlich oberhalb der bei der Erstkalkulation maßgebliche Sterbewahrscheinlichkeiten lägen.Diese Abweichung sei nicht nur als vorübergehend einzuschätzen. Die Beiträge müssten also „dementsprechend angepasst“ werden. Entgegen dem Informationsschreiben zur Beitragserhöhung spielten aber höhere Leistungsausgaben keine Rolle. Hierfür möchte man sich beim Kläger entschuldigen.
Der Kläger behauptet, es liege eine unzureichende Erstkalkulation vor. Er bestreitet mit Nichtwissen, dass sich aufgrund der allgemeinen Sterbetafel 2010/2012 gegenüber der Perioden-Sterbetafel 2008/2010 eine höhere Lebenserwartung ergebe und ein auslösender Faktor von 1,3414 gegeben sei. Er bestreitet, dass der Treuhänder unabhängig sei. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte habe in keiner Weise dargelegt, weshalb die beiden von ihr genannten
Faktoren eine Prämien- bzw. Beitragserhöhung von mehr als 12 % rechtfertigen sollen.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Beitragserhöhung der Beklagten zur Krankenversicherung der Versicherungsnummer von
EUR auf EUR ausgesprochen zum 01.05.2016 unwirksam ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass die streitgegenständliche Anpassung auf dem Vergleich der erforderlichen mit dem kalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten, die eine Abweichung von mehr als 5 % ergab, beruhen, so dass nach § 155 Abs. 4 das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen habe. Die Gegenüberstellung ergab für den streitgegenständlichen Tarif einen Auslösenden Faktor von 1,3414, das heißt eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten um 34,14 %. Grundlage sei die Sterbetafel 2010/2012 gewesen. Diese ergab gegenüber der Perioden-Sterbetafel 2008/2010 eine höhere Lebenserwartung.
Sie vertritt die Auffassung, dass alle Voraussetzungen für eine Beitragsanpassung vorlagen und diese ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Sie trägt vor, dass der Beitrag fehlerfrei kalkuliert worden sei.
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 16.03.2019 und 11.10.2021 und auf seine mündlichen Erläuterungen gemäß Sitzungsprotokoll vom 26.02.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Feststellungsklage ist begründet.
Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig, da ein feststellungsfähiges gegenwärtiges Rechtsverhältnis vorliegt, soweit der Kläger die Unwirksamkeit der
Beitragsanpassungen in der Versicherung zum 1. Mai 2016 festgestellt wissen möchte.
Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet. Es ist festzustellen, dass die Beitragserhöhung der Beklagten zur Krankenversicherung - Pflegezusatzversicherung- mit der Versicherungsnummer von EUR auf EUR ausgesprochen zum 01.05.2016 unwirksam ist.
Die Beklagte hat nicht darlegen und beweisen können, dass die Voraussetzungen für eine Erhöhung der Versicherungsprämie vorliegen.
Es kann hier dahinstehen, ob die Beklagte die Erhöhung des Versicherungsbeitrages ausreichend begründet hat. So erfordert dies die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG und die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat.
Auf jeden Fall steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte die Prämien zu überprüfen und mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen hatte, da der Auslösende Faktor eine Abweichung von mehr als 5 % ergab.
Die Parteien haben zum 01.04.2013 einen Krankenversicherungsvertrag geschlossen. Dieser wurde zum 01.12.2013 auf eine staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung nach dem Tarif (sog.Pflege-Bahr) erweitert.
Gem. § 11 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Musterbedingungen, kann die Beklagte eine Beitragsanpassung vornehmen. So vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als 5 % werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und soweit erforderlich mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Die von der Beklagten genannten Versicherungsbedingungen des Jahres 2017 waren im Jahre 2016 -Zeitpunkt der Beitragserhöhung noch nicht einschlägig, so dass die Bedingungen des Jahres 2013 einschlägig waren. So gehen die Parteien auch im Übrigen übereinstimmend davon aus, dass hier § 16 KVAV anwendbar ist.
Der Sachverständige führt in seinem schriftlichen Gutachten vom 19.03.2019 nachvollziehbar und überzeugend wie folgt aus:
„Der Auslösende Faktor (AF= Prozentsatz, um den die erforderlichen Sterbewahrscheinlichkeiten von den kalkulierten abweichen, und zwar gemäß VVG und VAG/KVAV bei der Betrachtung von Barwerten) des Jahres 2014 (die betreffende Untersuchung muss nach Jahresende 2014 dann im Jahre 2015 durchgeführt worden sein) für die Prämienanpassung zum 01.05.2016 lag nach
im Tarif bei 134, 14 %, also eine Abweichung von 34,14 % nach oben.
Somit wäre diese Voraussetzung für die Prämienanpassung zum 01.05.2016 gegeben, da die gesetzliche Grenze von 5,0 % durch die sich aus dem Auslösenden Faktor ergebende Abweichung von 34,14 % überschritten wäre.
Ob die Auslösenden Faktoren gesetzeskonform korrekt bestimmt wurden, kann nur aus versicherungsmathematischer Sicht und damit nur sehr eingeschränkt beantwortet werden, muss daher letztlich offenbleiben, weil auch mit von rechtlichen Vorfragen abhängig.
…
Die Methode der Ermittlung – Vergleich der Barwerte für die (hier Anfang 2015) aktuellste von der Bundesanstalt (für Finanzdienstleistungsaufsicht) veröffentliche Sterbetafel mit den Barwerten der zuletzt kalkulierten Sterbetafel ist in
sowie beschrieben und formelmäßig dargelegt. Sie ist nach Überprüfung des Sachverständigen zumindest dem Wortlaut nach gesetzeskompatibel (gemäß VAG und KVAV), also ohne eindeutigen offenbaren Widerspruch dazu. Alle zugrunde liegenden Daten der für die Berechnung der Barwerte benötigten Größen sind vollständig in mit aufgeführt: so der Rechnungszins, die Kopfschäden, die ab der Erstkalkulation 2013 verwendete geschlechtseinheitliche kalkulierte Sterbetafel, und die Anteile Männer je Alter, mit denen diese aus Sterbetafeln für Männer bzw. Frauen gewichtet gemittelt wurde. Aus der Anfang 2015 aktuellen von der BaFin veröffentlichten PKV-Sterbetafel 2015 für Männer bzw. Frauen hat der Sachverständige sodann mit den in Anlage 2.2.-also gem. der Erstkalkulation 2012- angegebenen Anteilen Männer je Alter eine geschlechtseinheitliche Sterbetafel ermittelt.
Unter Verwendung der für die Berechnung der Barwerte benötigten Größen wie in aufgeführt (Rechnungszins, Kopfschäden) hat er sodann für diese aktuelle
Sterbetafel sowie für die bisher kalkulierte geschlechtseinheitliche Sterbetafel
Barwerte gemäß den in der KalV vorgegebenen Formeln berechnet und gegenübergestellt, also die Quotienten für jedes Alter ermittelt. Diese Quotienten wurden sodann für die in der KVAV vorgeschriebenen drei Altersgruppen gemittelt und von diesen drei Werten sodann gemäß KVAV der Maximale bestimmt. Das Ergebnis stimmt mit 134,14 % (also 34,14 % Abweichung) exakt mit dem Ergebnis für den von der Beklagten ermittelten Auslösenden Faktor überein.
Es wäre aber eine unzulässige Anmaßung der Entscheidung über rechtliche Vorfragen, die nur dem Gericht zukommen, wenn der Sachverständige den reinen Wortlaut der genannten Bestimmungen als maßgeblich für die danach vorgenommenen Berechnungen erachtet…..
Eventuell kommt es aber auch darauf gar nicht an, sondern es ist für die Berechnung der Auslösenden Faktoren schlicht einfach das anzuwenden, was die Beklagte methodisch und formelmäßig in ihren Berechnungsgrundlagen festgelegt hat, ohne dass dies mit den gesetzlichen Vorgaben unter anderen auf Übereinstimmung zu prüfen ist…
….
So hat der Sachverständige auch ebenso einen Auslösenden Faktor für das Jahr der Erstkalkulation 2012 nach dem Wortlaut der oben genannten Vorgaben berechnet, also mit Hilfe der von der BaFin veröffentlichten PKV-Sterbetafel 2012 (statt 2015) als die erforderliche- Ergebnis war 131,32 % also Abweichung 31,32
%. Demnach wäre also bereits bei Erstkalkulation 2012 -und natürlich auch in jedem der Folgejahre- aus dem Auslösenden Faktor Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mindestens 31,32 % steigend bis 34,14 % im Jahr 2015 zu verzeichnen gewesen.
Die für eine Überprüfung erforderliche Abweichung von über 5 % war also längst bereits bei Erstkalkulation und laufend danach gegeben. Selbst wenn sich seitdem die Sterbetafeln verändert hätten, also gar keine Veränderung in den Sterblichkeitsverhältnissen eingetreten wäre, würde sich auch später noch dieser auslösende Faktor 31,32 % Abweichung ergeben. Eine solche Abweichung zeigt also keineswegs eine tatsächliche Veränderung an.
Daraus aber ist nicht zu schließen, dass die anfänglich kalkulierte Sterbetafel etwas zu vorsichtig war. Vielmehr ist – nur nach dem eventuell maßgeblichen Wortlaut – die von der BaFin veröffentliche Sterbetafel lediglich zur Ermittlung der auslösenden Faktoren als erforderlich zu fingieren, ohne dass sie tatsächlich
deshalb erforderlich wäre. Sie fingiert damit eine Veränderung, wo „tatsächlich“ keine oder eine weit geringere (gegebenenfalls unter 5 %) ist.
Der Sachverständige hat auch zusätzlich berechnet, wie sich steigende statt fallende Sterbewahrscheinlichkeiten der von der BaFin veröffentlichten PKV- Sterbetafeln ausgewirkt hätten. Selbst wenn die Sterblichkeit der PKV-Tafeln um
40 % gegenüber der PKV Sterbetafel 2012 gestiegen wäre, hätte sich noch ein Auslösender Faktor von 106,5 % ergeben, also eine Veränderung von 6,5 % angezeigt in Richtung sinkender Sterblichkeit gegenüber den anfangs kalkulierten.
Die Sinnhaftigkeit solcher Ergebnisse erschließt sich versicherungsmathematisch nicht ohne weiteres.
Dies zeigt sich auch wenn - worauf die BaFin ausdrücklich verweist- vorsichtigere Sterbetafeln als die von der BaFin veröffentlichten verwendet werden. In diesem Fall kann der Vergleich auf Basis der Barwerte der aktuellen PKV-Sterbetafel mit dieser vorsichtigeren z.B. bereits zum Zeitpunkt der Erstkalkulation zu einem Auslösenden Faktor von nur 85 % führen, mithin eine Abweichung von 15 % nach unten, somit mehr als 5 %, was eine Beitragsanpassung auslösen könnte. Wenn nun die PKV Sterbetafel Jahr für Jahr jeweils aktuell veröffentlicht eine abnehmende Sterblichkeitsentwicklung aufzeigt, steigt der Auslösende Faktor langsam, z.B. auf 90 % oder 94 %, was immer noch mehr als 5 % Abweichung und damit genug für eine Anpassung wäre. Sinkt die Sterblichkeit der PKV- Sterbetafeln aber weiter, nimmt der Auslösende Faktor z.B. auf 96 % zu -jetzt darf also keine Anpassung mehr erfolgen, weil die Abweichung weniger als 4 % beträgt.
Erst wenn die Sterblichkeit laut PKV-Sterbetafeln dann noch weiter abgesunken ist, und der Auslösende Faktor langsam weiter auf über 105 % steigt, ist die Abweichung – nun nach oben- wieder ausreichend, um neu kalkulieren und anpassen zu dürfen.
Es ist hier auch an diesem Beispiel versicherungsmathematisch gar nicht mehr nachvollziehbar, was sich der Gesetzgeber oder Verordnungsgeber dabei gedacht haben könnte – wenn er eine wortwörtliche Umsetzung der KVAV an dieser Stelle gewollt hätte…..
…
Allein die dargestellten versicherungsmathematischen Ergebnisse zeigen indes, dass die Beweisfragen A und B wegen schwerwiegender
versicherungsmathematischer begründeter Ungewissheit über die mathematische Umsetzung abhängig von der Auslegung rechtlicher Vorfragen nicht ohne Weiteres bejaht werden können, aber auch nicht eindeutig verneint.
Der Sachverständige kommt bei gebotener Zurückstellung eventueller rechtlicher Fragen zu dem Ergebnis aus versicherungsmathematischer Sicht, dass die Beweisfragen a) und b) derzeit nicht mit Gewissheit bejaht werden können.
In der mündlichen Verhandlung vom 26.2.2021 hat der Sachverständige nochmals diese Ergebnisse mündlich erläutert.
In weiteren schriftlichen Gutachten vom 11.10.2021 führt der Sachverständige zur mündlichen Stellungnahme vom 26.02.2021 nochmals wie folgt aus:
Hier verdeutlichte der Sachverständige nochmals, dass er sich Versicherungsmathematisches beschränkt, Rechtsfragen ohne Entscheidung offenlässt, die erfolgte Berechnung des AF nach dem exakten Wortlaut der KVAV indes zu einem versicherungsmathematisch unsinnigen Ergebnis führt, weil dies die wirkliche (deutlich unter 5 % Abweichung liegende) Veränderung bei der Berechnungsgrundlage Sterbewahrscheinlichkeit in keiner Weise wiedergibt. Ferner verdeutlichte er, dass auch bereits ein Aufsetzen auf dem Wortlaut von Verordnungen oder Gesetzen wohl doch eine Auslegung sei, die dem Sachverständigen nicht zukommt, sondern nur dem Richter. An der korrekten Berechnung des AF Sterbewahrscheinlichkeiten bei wortwörtlicher Auslegung des § 16 KVAV -in der Weise wie dem Gericht als verstanden beschrieben- bestünden indessen nach seiner Überprüfung keine Zweifel.
Das Gericht schließt sich den überzeugenden versicherungsmathematischen Ausführungen des Sachverständigen an. Das Gericht hat keine Bedenken an der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen zu zweifeln. So hat auch der Sachverständige nachvollziehbar und unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte aus versicherungsmathematischer Sicht die Berechnung des Auslösenden Faktors erörtert.
Unter Berücksichtigung dieser Darlegungen konnte die Beklagte nicht nachweisen, dass der Auslösende Faktor in berücksichtigungsfähiger Weise eine Abweichung von mehr als 5 % bei dem Vergleich der erforderlichen mit dem kalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten ergab. Es ist ggf. höchstens eine Abweichung von 2,15
% (131,32 % zu 134,14 %) gegeben. So hat der Sachverständige festgestellt, dass der Auslösende Faktor (AF= Prozentsatz, um den die erforderlichen
Sterbewahrscheinlichkeiten von den kalkulierten abweichen, und zwar gemäß VVG und VAG/KVAV bei der Betrachtung von Barwerten) des Jahres 2014 (die betreffende Untersuchung muss nach Jahresende 2014 dann im Jahre 2015 durchgeführt worden sein) für die Prämienanpassung zum 01.05.2016 nach
im Tarif bei 134,14 % lag, also eine Abweichung von 34,14 % nach oben gegeben war. So hat der Sachverständige auch ebenso einen Auslösenden Faktor für das Jahr der Erstkalkulation 2012 nach dem Wortlaut der oben genannten Vorgaben berechnet, also mit Hilfe der von der BaFin veröffentlichten PKV-Sterbetafel 2012 (statt 2015) als die erforderliche- Ergebnis war 131,32 % also Abweichung 31,32 %. Demnach wäre also bereits bei Erstkalkulation 2012 -und natürlich auch in jedem der Folgejahre- aus dem Auslösenden Faktor Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mindestens 31,32 % steigend bis 34,14 % im Jahr 2015 zu verzeichnen gewesen.
Somit wäre diese Voraussetzung für die Prämienanpassung zum 01.05.2016 gegeben, da die gesetzliche Grenze von 5,0 % durch die sich aus dem Auslösenden Faktor ergebende Abweichung von 34,14 % überschritten wäre. Die für eine Überprüfung erforderliche Abweichung von über 5 % war also längst bereits bei Erstkalkulation und laufend danach gegeben. Selbst wenn sich seitdem die Sterbetafeln verändert hätten, also gar keine Veränderung in den Sterblichkeitsverhältnissen eingetreten wäre, würde sich auch später noch ein auslösender Faktor 31,32 % Abweichung ergeben. Eine solche Abweichung zeigt also keineswegs eine tatsächliche Veränderung an.
Letztlich mag vorliegend dahinstehen, ob für die Erhöhung zum 01.05.2016 hier § 16 KVAV –diese Vorschrift trat erst am 22.04.2016 in Kraft – oder die KalV, die am 31.12.2015 aufgehoben wurde, anwendbar ist. Nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage hält das Gericht entgegen der mit Beschluss vom 19.05.2021 geäußerten Rechtsansicht und trotz des Wortlauts der Vorschriften –Vergleich der kalkulierten mit den erforderlichen Sterbewahrscheinlichkeiten- hier die von der Beklagten ermittelte Abweichung von 34,14 % zu berücksichtigen, nicht fest. So hat der Sachverständige aber auch dargelegt, dass bereits bei Erstkalkulation durch die Beklagte u.a. dann eine Abweichung von mehr als 5 % vorlag. Insofern sollte es unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks des auslösenden Faktors nicht möglich und zulässig sein, dass durch die Grundlagenberechnung der Beklagten bei der Erstkalkulation sofort bei dieser eine Abweichung von mehr als 5 % gegeben ist.
Auch aus dem Rechtsgedanken des § 155 Abs.3 S.3 VAG –unzureichende Erstkalkulation und keine Prämienanpassung bei Lebensversicherung- ergibt sich,
dass eine solche von der Beklagten tatsächlich vorgenommene Ermittlung des Auslösenden Faktors nicht dazu führen kann, eine Prämienanpassung zu prüfen. Nach alledem kann sich die Beklagte auf den auslösenden Faktor über 5 % nur berufen, wenn dieser auf nicht unzureichenden Ermittlungen beruht. Ob dieses ggf. ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist, kann offenbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 711 ZPO.
Da das Gericht den Streitwert auf 606,00 EUR festgesetzt hat, brauchte über die Zulassung der Berufung nicht entschieden zu werden.
Der Streitwert wird auf 606,00 EUR festgesetzt.
Rechtsbehelfsbelehrung:
- Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
- wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
- wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung
dieses Urteils bei dem Landgericht Hagen, Heinitzstr. 42, 58097 Hagen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils gegenüber dem Landgericht Hagen zu begründen.
Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Hagen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
- Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Altena statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Altena, Gerichtsstr. 10, 58762 Altena, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die
Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß
- 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.
Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
Neuhoff
Beglaubigt
Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle Amtsgericht Altena