AF-Überprüfung durch Prämientreuhänder (OLG München 21.03.2024 - 14 U 1297/232 e)
Sehr geehrter Herr Rudolph,
vielen Dank für Ihre ausführliche Nachricht. Nach meiner Auffassung wird sich die Sichtweise der Treuhänder rechtlich nicht durchsetzen lassen, weil dies faktisch auf eine Verkürzung des Zivilrechtsschutzes hinauslaufen würde, was auch vor dem Hintergrund der dazu einschlägigen Verfassungsrechtsprechung nicht möglich ist. Auf die Verantwortlichkeit des VA kann in diesem Zusammenhang nicht verwiesen werden, weil dieser ein Organ des VU und daher keine unabhängige Instanz ist.
Mit besten Grüßen Jan Boetius
Dr. Jan Boetius
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Von: Stephan Rudolph <
Betreff: Re: AF-Überprüfung durch Prämientreuhänder (OLG München 21.03.2024 - 14 U 1297/232 e) Sehr geehrter Herr Boefius,
die Prüfbarkeit der auslösenden Faktoren war nach meiner Wahrnehmung schon immer ein Thema bei Klagen gegen die von PKV-Unternehmen vorgenommenen Beitragsanpassungen. Ich erinnere mich, dass ich in den ersten Verhandlungen, bei denen ich als Zeuge aussagen musste, hierzu befragt wurde.
Meine Sichtweise zur Prüfbarkeit der auslösenden Faktoren AF habe ich Ihnen im Folgenden aufgeschrieben. Dies entspricht meines Wissens auch den üblichen Vorgehensweisen.
In § 17 KVAV ist festgelegt, dass ein Versicherer dem Treuhänder und der BaFin den AF inklusive einer Kommenfierung vorzulegen hat. Die zusätzliche Angabe von vier Schadenquofienten ist nur für den Fall gefordert, dass ein AF außerhalb des Toleranzintervalls als vorübergehend angesehen wird.
Beitragsanpassungen, die vor Gericht verhandelt werden, basieren aber stets auf einer nicht als vorübergehend anzusehenden Schadenentwicklung. Für klagegegenständliche Beitragsanpassungen ist also im Rahmen der kommenfierten Gegenüberstellung der erforderlichen und der kalkulierten Versicherungsleistungen als Zahlenwert ausschließlich die Angabe des AF gefordert.
Manche Versicherer geben zwar die vier Schadenquofienten auch bei einer nicht vorübergehenden Schadenentwicklung oder bei AF innerhalb des Toleranzintervalls an. Dies passiert jedoch auf freiwilliger Basis.
Von rechtlicher Seite wird also keine Datengrundlage vorgeschrieben, die einem Treuhänder die Prüfung des Zahlenwertes eines auslösenden Faktors ermöglicht.
Ein Treuhänder hat gemäß § 155 Abs. 1 VAG die Einhaltung der bestehenden Rechtsvorschriften zu prüfen. Daraus kann die Aufgabe des Treuhänder abgeleitet werden, zu prüfen, ob die in den Technischen Berechnungsgrundlagen festgelegte Methodik zur Berechnung der AF als gleichwerfig mit dem in der KVAV beschriebenen Verfahren anzusehen ist. Eine nicht abschließende Liste, welche Verfahren als nicht gleichwerfig anzusehen sind, findet sich in der Begründung zur Kalkulafionsverordnung KalV als Vorgängerverordnung der KVAV (BR-Drucksache 414/96).
Die Richfigkeit der Werte des AF sowie die Sicherstellung, dass die Berechnung des AF gemäß den Besfimmungen in den Technischen Berechnungsgrundlagen vorgenommen wird, fällt in den Aufgabenbereich des Verantwortlichen Aktuars. Die BaFin kann sich im Rahmen von örtlichen Prüfungen davon überzeugen, ob die auslösenden Faktoren zutreffend berechnet werden.
Es sollte aber, soweit möglich, eine grundsätzliche Prüfung staftfinden, ob der auslösende Faktor entsprechend Abschnift 6 ermiftelt worden ist. Zusätzliche Prüfungsaufgaben können und sollten einem Treuhänder nicht auferlegt werden. Dies gilt aus meiner Sicht gleichermaßen für einen vom Gericht bestellten Sachverständigen, es denn, er erhält Unterlagen, die über die dem Treuhänder vorzulegenden Unterlagen hinausgehen. Dass die ermiftelten Werte des AF vom Treuhänder und/oder dem Sachverständigen plausibilisiert werden, bleibt unbenommen. Die Plausibilisierung kann direkt bei Vorlage der auslösenden Faktoren anhand der eventuell freiwillig beigefügten Schadenquofienten und/oder im Nachhinein ggf. anhand von Informafionen in den aktualisierten Technischen Berechnungsgrundlagen geschehen.
Den Sachverhalt habe ich hoffentlich nachvollziehbar dargestellt. Bei Rückfragen kommen Sie gerne auf
mich zu.
Freundliche Grüße Stephan Rudolph
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Stephan Rudolph
Dipl.-Mathemafiker, Aktuar DAV Anschrift: Posffach 2291, 67332 Speyer
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-------- Original-Nachricht --------
Betreff: AF-Überprüfung durch Prämientreuhänder (OLG München 21.03.2024 - 14 U 1297/232 e)
Von: Jboefius <
Sehr geehrter Herr Rudolph,
Sie wissen wahrscheinlich, dass ich mich fachlich unverändert mit PKV-Fragen befasse. Ihre E-Mail-Adresse erhielt ich von Herrn Fürhaupter, an den ich mich mit einer Frage zur AF- Überprüfung gewandt hatte. Dabei geht es um folgendes:
Vom Beck-Verlag werde ich gefragt, zu dem Urteil des OLG München (Anhang) eine kritische Anmerkung zu schreiben, was mir einigermaßen schwer fällt. Wenn ich das Problem richtig verstehe, geht es im Kern um die Frage, ob das Anspringen des AF (1) vom Treuhänder und
(2) vom Gericht zu überprüfen ist. Beides ist nach meiner Auffassung der Fall; so habe ich es auch in Langheid/Wandt kommentiert (§ 203 Rn. 573, 916):
(1) Neukalkulation und Prämienanpassung setzen materiellrechtlich voraus, dass der AF anspringt (§ 155 Abs. 3 S. 2 VAG). Diese Vorschrift gilt auch vertragsrechtlich (§ 203 Abs. 2 S, 4 VVG). Die Prüfpflicht des Treuhänders zur Prämienberechnung nach § 155 Abs. 1 S. 2 VAG gilt damit nicht nur aufsichtsrechtlich und umfasst logischerweise auch die gesetzliche
Voraussetzung, ob es überhaupt zu einer Neukalkulation kommen kann. Die entgegenstehende Auffassung von Gramse (BeckOK VVG § 203 Rn. 23c f.) und OLG Brandenburg kann ich nicht teilen. Diese Auffassung wird auch dem Ziel der Treuhänderüberprüfung nicht gerecht, das maßgeblich der Streitvorbeugung und Streitverhinderung dient (Langheid/Wandt § 203 Rn. 502). Dem BGH-Urteil v. 20.3.2024 – IV ZR 68/22 (VersR 2024, 704 = r+s 2024, 454) entnehme ich, dass der BGH ähnlich denkt: Der Zustimmungsvorbehalt nach § 155 Abs. 1 VAG betrifft unmittelbar die Prämienänderung und Prämienberechnung (Rn. 46); im Rahmen der Überprüfung der Prämienneuberechnung sind der AF und die Nachkalkulation zu überprüfen (Rn. 48). Zwar beziehen sich diese Ausführungen primär auf die gerichtliche Überprüfung, aber § 155 VAG regelt die Prüfpflichten des Treuhänders. Das übersieht OLG Brandenburg; aus der KVAV ist zu dieser Frage überhaupt nichts herzuleiten.
(2) Dass das Gericht das Anspringen des AF zu überprüfen hat, scheint unstreitig zu sein (Gramse BeckOK VVG § 203 Rn. 23e). Dann muss man aber fragen, welchen Sinn die (unterstellte) Nichtüberprüfung durch den Treuhänder haben soll, wenn seine Tätigkeit der Streitvorbeugung dienen soll.
Gramse sieht in seiner Neukommentierung, die in Kürze erscheint, das anders.
Meine Frage lautet, wie das Thema in der Praxis gehandhabt wird: Prüfen die Treuhänder das Anspringen des AF? Welche Unterlagen werden ihnen insoweit typischerweise zur Verfügung gestellt? Es wäre schön, wenn Sie mir dazu Hinweise geben könnten.
Mit besten Grüßen Jan Boetius
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Dr. Jan Boetius
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