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Die Unabhängigkeit des Treuhänders in der privaten Krankenversicherung

Stellungnahme der Vereinigung unabhängiger Treuhänder für die private Krankenversicherung e.V.
Fassung 03.11.2017

Vorwort

Zurzeit werden vermehrt von Versicherungsnehmern vorgenommene Beitragsanpassungen in Frage gestellt. Hierbei rückt der Aspekt, ob denn der bestellte Treuhänder überhaupt unabhängig sei, in den Vordergrund. Es ist nicht auszuschließen, dass der Treuhänder in diesem Zusammenhang zu seiner Unabhängigkeit befragt wird.

Dieses Papier soll hierfür eine Hilfestellung sein. Der betroffene Treuhänder kann sich die folgenden Argumentationen zu eigen machen. Es steht ihm frei, einzelne oder auch alle der genannten möglichen Unabhängigkeitskriterien zu verwenden. Es empfiehlt sich, die gewählten Kriterien um Ausführungen zu seiner persönlichen Situation zu ergänzen.

Betont sei, dass es sich hierbei nicht um eine von der Treuhändervereinigung beschlossene Kriterienliste handelt. Insbesondere ist dieses Papier nur zur internen Verwendung und nicht zur Weitergabe an Dritte gedacht.

Der Begriff „Unabhängigkeit“ im Aufsichtsrecht

Die Unabhängigkeit des Treuhänders ist eine aufsichtsrechtliche Anforderung. Nach § 157 VAG erfordert die Bestellung des Treuhänders eine vorherige aufsichtsbehördliche Überprüfung der in Absatz 1 genannten Bestellungsvoraussetzungen, darunter auch der Unabhängigkeit vom Versicherungsunternehmen. Damit unterliegt die Prüfung und Fest- stellung der Unabhängigkeit der Entscheidung der BaFin.

Allgemeine Anforderungen

Die in § 157 Abs. 1 VAG aufgeführten Ausschlusskriterien sind nicht abschließend, weil das Gesetz lediglich von „insbesondere" spricht. Ein Treuhänder ist demnach von dem Versicherungsunternehmen, für das er die Treuhändertätigkeit ausübt, grundsätzlich unabhängig, wenn

  • er über die Treuhändertätigkeit hinaus keine weiteren Mandate oder Funktionen wahrnimmt, die sich auf das Versicherungsunternehmen oder auf mit ihm verbundene Unternehmen beziehen.

 

  • er aus einem früheren Anstellungs- oder sonstigen Dienstvertrag mit dem Versicherungs- unternehmen oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen keine Ansprüche gegen diese Versicherer besitzt und insbesondere kein solcher Anstellungs- oder sonstiger Dienstvertrag mit dem Versicherungsunternehmen oder einem mit ihm verbundenem Unternehmen besteht.
  • er keine familiären Beziehungen im Sinne von § 11 StGB zu Mitgliedern des Vorstands sowie des Aufsichtsrats des Versicherungsunternehmens oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen hat.
  • er keine verwandtschaftliche oder über eine Treuhändertätigkeit hinausgehende geschäftliche Beziehung zum verantwortlichen Aktuar des Versicherungsunternehmens
  • er über keine bedeutende Beteiligung im Sinne des VAG am Gründungsstock des Versicherungsunternehmens verfügt.
  • zwischen ihm und dem Versicherungsunternehmen keine Versicherungsverträge
  • die Vereinbarung der Vergütung, die er als Treuhänder erhält, nicht auf die sich aus einer Prämienänderung ergebende Mehrprämie abstellt.

Entsprechende Negativerklärungen hat der in Aussicht genommene Treuhänder im Rahmen des Bestellungsverfahrens gegenüber dem Versicherungsunternehmen abzugeben, das diese Erklärungen der Aufsichtsbehörde (BaFin) zuleitet.

Allgemeine Rahmenbedingungen zur finanziellen Unabhängigkeit des Treuhänders

Die finanzielle Unabhängigkeit des Treuhänders vom jeweiligen Unternehmen ist kein besonderes Kriterium nach § 157 Abs. 1 VAG, wird jedoch zunehmend in der Rechtsprechung problematisiert.

Grundsätzlich ist hier die aufsichtsrechtliche Zuständigkeit der BaFin zu betonen. Die bisher geübte und auch weiterhin fortbestehende Verwaltungsauffassung der BaFin zu den Anforderungen an die Unabhängigkeit der Treuhänder wurden zwischenzeitlich ausdrücklich bestätigt. Danach bestimmt sich die Unabhängigkeit des Treuhänders aus Sicht der Aufsichtsbehörde ausschließlich am Maßstab des § 157 VAG. Eine direkte oder analoge Anwendung der Kriterien des § 319 HGB Abs. 3 Nr. 5 HGB kommt aus Sicht der BaFin nicht in Betracht. Die dort genannte 30 %-Grenze findet keine Anwendung. Insoweit bleibt es bei der bisherigen Verwaltungspraxis hinsichtlich der Bestellung von juristischen und mathematischen Treuhändern durch die BaFin.1

 

1     Frank Grund, BaFin, in „Versicherungswirtschaft heute“ vom 23.05.2017

 

Derzeit gibt es keine konkreten Maßstäbe zur Beurteilung der Frage, ob ein Treuhänder als unabhängig von seinem Mandanten anzusehen ist. Vor Gericht wird zurzeit häufig eine Vergleichbarkeit der Tätigkeit eines Treuhänders mit der Tätigkeit eines Abschlussprüfers diskutiert. Für Abschlussprüfer ist § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB einschlägig. Demnach ist ein Wirtschaftsprüfer von der Abschlussprüfung ausgeschlossen, wenn er in den letzten fünf Jahren jeweils mehr als 30 % der Gesamteinnahmen aus seiner beruflichen Tätigkeit von der zu prüfenden Gesellschaft bezogen hat und dies auch im laufenden Geschäftsjahr zu erwarten ist.2

Aus bisher ergangenen Gerichtsurteilen ist keine eindeutige Sichtweise zur Anwendbarkeit des

  • 319 HGB auf die Frage nach der Unabhängigkeit von Treuhändern zu erkennen.3 Bereits vor Einführung der Institution der Treuhänder hat es den § 319 HGB gegeben. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die 30%-Grenze auch als Unabhängigkeitskriterium für den Treuhänder gelten solle, hätte er leicht den Bezug auf § 319 HGB herstellen können. Dies ist, im Gegensatz zu vielen Verweisungen im AktG oder UmwG, jedoch unterblieben. Bei der Unabhängigkeit des Treuhänders handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Konkretisierung in der Fachliteratur. Zudem kann eine wirtschaftliche Abhängigkeit auch nicht aus der Gesamtvergütung hergeleitet werden. Fraglich ist zudem, ob eine starre Regel betreffend die Unabhängigkeit, wie sie im Rahmen der Änderung des HGB für Wirtschafts- prüfer und vereidigte Buchprüfer in § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB vom Gesetzgeber festgelegt wurde, überhaupt auf die Tätigkeit des Treuhänders zu erstrecken ist. Dies sollte richtigerweise deshalb verneint werden, da sich die Tätigkeiten wesentlich voneinander unterscheiden. Der Treuhänder hat einen anderen Aktionsraum. Ferner nimmt § 319 HGB nicht auf den auslegungsbedürftigen Begriff „Unabhängigkeit" Bezug; der Begriff wird im Gesetzestext nicht erwähnt. Insofern erübrigt sich der Vergleich mit den Verhältnissen bei den Wirtschaftsprüfern und kann somit auch keine Anwendung finden. Letztlich ist die Tätigkeit

2 Der Treuhänder wird in dem bereits geschilderten Verfahren bestellt, vor Bestellung durch die BaFin überprüft und auch laufend überwacht (§ 157 Abs. 2 S. 3-5 VAG). Die Mitwirkung der BaFin im Bestellungs- und ggf. Abberufungsverfahren gewährleistet eine objektive Prüfung. Eine derartige anfängliche Prüfung oder auch laufende Überwachung des Abschlussprüfers ist im HGB nicht vorgesehen.

3 So hat das Amtsgericht Potsdam in einer Entscheidung vom 2.8.2016 (29 C 122/16) ausgeführt, dass eine Abhängigkeit dann anzunehmen ist, wenn der Versicherer Einfluss auf den Treuhänder auszuüben vermag, dass er ihm einen unangenehmen Nachteil in Aussicht stellt, den der Treuhänder nicht ohne weiteres verkraften kann. Die Beeinflussbarkeit eines unabhängigen Treuhänders steige mit seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit. Der Schutzzweck von § 203 Abs. 2 S. 1 VVG erfordere, schon den bösen Schein eines kollusiven Zusammen- wirkens zwischen Versicherer und Treuhänder zu vermeiden. Das AG Potsdam hat sich sodann an § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB orientiert, der zwar nicht starr zur Anwendung komme, jedoch dann den bösen Schein entstehen lasse, wenn der Anteil von mindestens 30 % am Jahreseinkommen für eine gewisse Zeit erreicht oder überschritten werde.

Demgegenüber hat das Amtsgericht Hersbruck (11 C 453/14) in einem Urteil vom 30.4.2015 die analoge Anwendbarkeit von § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB in Frage gestellt unter Hinweis darauf, dass ein Treuhänder andere Funktionen ausübe als ein Wirtschaftsprüfer, zudem enthalte diese Bestimmung nicht den Begriff

„Unabhängigkeit", sondern stattdessen starre Regelungen. Auch habe der Gesetzgeber gerade nicht eine entsprechende Regelung in das VAG übernommen, was er jedoch getan hätte, hätte er dies gewollt.

In der Literatur wird, soweit das Thema überhaupt aufgegriffen wird, die analoge Anwendbarkeit von § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB verneint (vgl. Muschner in Langheid/Rixecker, VVG, 5 Aufl. 2016, § 203 Rz. 27; Buchholz,

VersR 2005, 866 ff., 869/870).

 

des Treuhänders spezialgesetzlich im VVG und VAG geregelt. Gleichwohl zeigen die einschlägigen Anforderungen der Gerichte die Forderung nach mehr Transparenz.

Primär wichtig erscheint, dass der Vergütungsanspruch des Treuhänders allein nach Zeitaufwand berechnet wird und sich nicht an anderen Kriterien, also etwaigen Zustimmungs- erklärungen bzw. an Art und Umfang der Prämienanpassungen orientiert.4 Folglich kann aus der getroffenen Vergütungsregelung nicht auf eine Beeinträchtigung der Neutralität geschlossen werden. Letztlich könnte ansonsten jede Vergütung der Tätigkeit des Treuhänders bereits zu einer Beeinflussung führen. Die Zahlung einer angemessenen Vergütung ist demnach selbstverständliche Folge eines Treuhänderverhältnisses und begründet keine fehlende Unabhängigkeit.

Derzeit gibt es ca. 40 private Krankenversicherungsunternehmen, die bei Beitragsanpassungen auf die Zustimmung eines Treuhänders angewiesen sind. Versicherungsmathematischen Sachverständigen, die die Tätigkeit des Treuhänders ausüben, eröffnet sich daher nur ein kleiner Markt. Andererseits handelt es sich hierbei um eine hochspezialisierte Tätigkeit, die eine vollständige Konzentration des beruflichen Schaffens auf die Mathematik und das rechtliche Umfeld der privaten Krankenversicherung erfordert. Insofern müssen sich Personen, die die Treuhändertätigkeit ausüben, gänzlich anders organisieren als beispielsweise Abschlussprüfer, denen ein viel breiteres Geschäftsfeld offensteht. Kriterien wie z.B. § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB sind auch deshalb für die Beurteilung der finanziellen Unabhängigkeit des Treuhänders nicht sinnvoll anwendbar.5

Mögliche Kriterien zur Beurteilung der finanziellen Unabhängigkeit

Folgende Aspekte stellen die Unterschiede zu Abschlussprüfern dar und zeigen andere Möglichkeiten zur Beurteilung einer finanziellen Unabhängigkeit auf:

 
   

 

4 Die Höhe der Vergütung ist nicht an eine Beitragsanpassung gekoppelt, sondern hängt allein vom Zeitaufwand des Treuhänders ab, der zudem schwanken kann. Er ist zudem abhängig vom Unternehmen, der Art und der Vielzahl der vorhandenen Tarife. So ist z.B. der Zeitaufwand des Treuhänders beim aktuellen Branchenführer geringer, da dieser nur wenige Tarife führt, als bei vom Beitragsvolumen deutlich kleineren Unternehmen, die jedoch z.B. aus historischen Gründen sehr viel mehr Tarife führen. Aus dem Umstand, dass eine umfangreichere Tätigkeit zu einer höheren Vergütung führt, lassen sich keine Rückschlüsse auf eine fehlende Unabhängigkeit ziehen, sie ist vielmehr Folge des Äquivalenzprinzips von Aufwand (Arbeitszeit) und Ertrag (Vergütung).

5 Der BaFin ist der unterschiedliche Betreuungsaufwand je nach Versicherer und Bestandszusammensetzung, Vielzahl der Tarife usw. durchaus bekannt. Eine analoge Anwendung von § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB würde eine Treuhändertätigkeit für bestimmte Unternehmen ausschließen. Wenn die BaFin gleichwohl der Bestellung des Treuhänders A für das Unternehmen X zugestimmt hat, so erfolgte dies mithin in Kenntnis des mutmaßlichen Überschreitens der 30 %-Grenze. Die BaFin hat mithin in einer derartigen Treuhändertätigkeit keine Gefährdung der Unabhängigkeit gesehen. Im Übrigen lässt auch § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB befristete Ausnahme- genehmigungen durch die Wirtschaftsprüferkammer zu, man könnte hier die BaFin in einer analogen Position sehen.

 

  1. Die Treuhändertätigkeit wird lediglich von Einzelpersonen ausgeübt:6

Aufgrund des begrenzten Geschäftsfeldes arbeiten die derzeit tätigen Treuhänder auf freiberuflicher Basis als Einzelpersonen.7 Angestellte werden von ihnen regelmäßig nicht beschäftigt. Büro-Ausstattung wird nur in sehr eingeschränktem Umfang benötigt. Es bestehen daher keine nennenswerten laufenden Kosten. Sollte ein Treuhänderverhältnis mit einem Mandanten gelöst werden, führt dies beim Treuhänder lediglich zu weniger Einnahmen. Einen negativen Saldo aus Einnahmen und Ausgaben aus beruflicher Tätigkeit kann es für einen Treuhänder nicht geben. Bei Wegbrechen eines Mandats ist daher ein Vermögensabbau aufgrund eines laufenden Fixkostensatzes nicht zu befürchten.

  1. Die finanzielle Situation ist nur in der Gesamtbetrachtung von Bedeutung:8

Für Einzelpersonen ist die finanzielle Situation nur in der Gesamtbetrachtung von Bedeutung. Aus welchen Quellen die Einkünfte gespeist werden, hat für das persönliche Wohlergehen keine Bedeutung. Eine isolierte Betrachtung der Einkünfte aus der Treuhändertätigkeit verbietet sich daher. Vielmehr sind auch weitere Einkunftsarten aus sonstiger beruflicher Tätigkeit und aus Kapitalanlagen sowie gegebenenfalls auch solche des Ehepartners zu berücksichtigen. Auch die persönlichen Vermögensverhältnisse dürfen nicht außer Betracht bleiben.

  1. Betrachtung von möglichen alternativen Tätigkeiten:

Eine Beschränkung auf die tatsächlich erzielten Einkünfte ist unzweckmäßig. Die zeitliche Kapazität einer jeden Person ist begrenzt. Große Mandanten können eine solche Arbeits- belastung darstellen, dass daneben weitere Mandate nicht mehr in der erforderlichen Sorgfalt bearbeitet werden können.

Würde ein großes Mandat gekündigt, entstünden allerdings Freiräume für weitere Aufgaben, die bislang aus zeitlichen Gründen nicht übernommen werden konnten.

  1. Spezielle Lebenssituation des Treuhänders:

Die derzeit tätigen Treuhänder teilen sich im Wesentlichen auf zwei Personengruppen auf:

Gruppe 1: Ehemals in einem Versicherungsunternehmen tätige Personen, die sich mittlerweile im Ruhestand befinden.

Gruppe 2: Jüngere Treuhänder; für diese Gruppe ist wegen der stark unterschiedlichen Lebensläufe keine pauschale Beschreibung möglich.

Als Treuhänder werden von der BaFin zurzeit nur Personen zugelassen, die schon einmal eine leitende Tätigkeit bei einem Versicherungsunternehmen innehatten. Bei Gruppe 1 kann daher von Alterseinkünften ausgegangen werden, die bereits einen auskömmlichen Lebensstandard sichern.

 

6     Die Bilanzprüfung durch den Wirtschaftsprüfer wird in der Regel von einem Team durchgeführt.

7     Diese Tatsache ergibt sich schon allein aus der Gesetzesformulierung.

8     Im Gegensatz zu der Situation bei den Treuhändern wird für Wirtschaftsprüfer keine Mandatsbegrenzung gefordert.

 

Treuhänder der Gruppe 2 haben dagegen den Vorteil des geringeren Alters. Sie können ihren Mandanten eine längerfristige Tätigkeit anbieten. Zudem besteht bei jüngeren Treuhändern ein geringeres Risiko an krankheitsbedingten Ausfällen. Zur Reduzierung des Unternehmensrisikos sehen es deshalb bestimmte Versicherer als sinnvoll an, einen jüngeren Treuhänder zu bestellen. Aufgrund der höheren Fluktuation in Gruppe 1 sind immer wieder Treuhändermandate neu zu besetzen, so dass sich für Treuhänder der Gruppe 2 regelmäßig die Möglichkeit bietet, ein neues oder weiteres Mandat zu erlangen.

  1. Beurteilung des Lebensstandards bei eventuellem Wegfall eines Treuhändermandats:

Es kann betrachtet werden, welches Mindesteinkommen zur Beibehaltung des gewohnten Lebensstandards erforderlich ist. Sollte ein Treuhändermandat beendet werden, stellt sich die Frage, ob die verbleibende Einkommenssituation resp. Vermögenssituation noch immer ausreichend ist. Letztendlich ist ein erreichbares Mindesteinkommen ein weiteres Indiz dafür, dass der Treuhänder von den Einkünften aus diesem Mandat (losgelöst von deren Höhe) unabhängig ist.

  1. Interesse des Versicherers:

Die Anzahl der aktiven Treuhänder ist sehr begrenzt. Große Versicherungsunternehmen haben daher Schwierigkeiten, bei Bedarf einen neuen Treuhänder zu finden, der noch die erforderlichen zeitlichen Kapazitäten hat. Es besteht also bei großen Versicherungs- unternehmen ein besonderes Interesse an einem kontinuierlichen Treuhänderverhältnis. Letztendlich wird hierdurch die Unabhängigkeit des Treuhänders gegenüber großen Mandanten, die zwangsläufig einen großen Anteil des erzielten Einkommens bestreiten, gestärkt.

Spezielle Rahmenbedingungen zur finanziellen Unabhängigkeit des Treuhänders

Die vom Treuhänder dem Gericht ggf. vorzulegenden Daten können sich auf folgende Positionen beziehen, um die finanzielle Unabhängigkeit auch individuell zu dokumentieren:

  1. Einkünfte aus der Treuhändertätigkeit bei dem betrachteten Versicherungsunternehmen
  2. Einkünfte aus übrigen Treuhändertätigkeiten
  3. Sonstige persönliche Einkünfte (Beratungstätigkeit, Rente, Pension )
  4. Einkünfte aus Kapitalanlagen
  5. Sonstige Vermögensteile
  6. Einkünfte aus dem familiären Umfeld

 

Darzulegen ist, inwieweit sich der Verlust des Mandates gemäß Position 1 auf die finanzielle Gesamtsituation auswirkt. Dabei gilt es primär das verfügbare Einkommen bzw. die Vermögenssituation zu betrachten.9

Daneben sind weitere Aspekte in die Betrachtung einzubeziehen, wie z.B. die (persönliche) Situation auf dem Arbeitsmarkt oder die fachliche Qualifikation und das sich daraus ergebende Potential.

Die angestellten Betrachtungen können jeweils nur eine Momentaufnahme darstellen. Hierbei beschäftigt vorrangig die Fragestellung, wie die finanziellen Möglichkeiten des Treuhänders aussehen, wenn bei ansonsten unveränderten Verhältnissen die Einkünfte aus einem bestimmten Mandat wegbrechen würden. Natürlich besteht immer die Eventualität, dass weitere der genannten Einnahmequellen versiegen. Für die Einschätzung der finanziellen Unabhängigkeit gegenüber einem Mandanten ist jedoch die Betrachtung von mehreren gleichzeitig ausfallenden Einnahmequellen wenig zielführend. Überspitzt käme man sonst zu folgendem Ergebnis: Wenn sich die Verhältnisse so ändern würden, dass nur noch Einnahmen von dem kleinsten Mandat erzielt würden, könnte eine finanzielle Abhängigkeit auch vom kleinsten Mandanten abgeleitet werden. Eine solche Betrachtung ist nicht hilfreich.

Bei den oben dargestellten Sachverhalten können tatsächliche und hypothetische Einnahmen vermischt werden. Eine Forderung, man dürfe sich hierbei nur auf tatsächliche Einkommen beschränken, ist kaum zu rechtfertigen. Die Frage nach der finanziellen Unabhängigkeit beinhaltet nämlich selbst eine Hypothese: Es gilt, die finanzielle Situation in einem „Was-wäre- wenn-Szenario“ zu untersuchen, falls ein derzeit ungekündigt bestehendes Treuhändermandat beendet werden würde.

Das Vorliegen einer finanziellen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit kann somit nicht an einem einzigen Kriterium festgemacht werden. Hier spielen zahlreiche Aspekte ineinander.

Zusammenfassung

Die Unabhängigkeit des Treuhänders ist ein aufsichtsrechtlich relevantes Kriterium. In diesem Sinne enthält die Regelung des § 203 Abs.2 VVG über das Erfordernis der Zustimmung eines wirksam bestellten (mathematischen) Treuhänders als Voraussetzung für eine Prämien- anpassung in Satz 4 mit der Verweisung auf § 155 VAG eine grundlegend wichtige Verknüpfung mit dem Versicherungsaufsichtsrecht. Auf der aufsichtsrechtlichen Ebene regelt

  • 155 VAG die Bezugspunkte des Zustimmungserfordernisses und Einzelheiten der vom

 

9  In diesem Zusammenhang sei auf ein Urteil des BGH vom 09.12.2015 (IV ZR 272/15), veröffentlicht in VersR 2016, 177 ff. verwiesen: Der BGH hat – entschieden für die technischen Berechnungsgrundlagen – dem Versicherer ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse zugebilligt und es für zulässig erachtet, nach § 172 Nr. 2 GVG die Öffentlichkeit von der Verhandlung auszuschließen und ferner, gemäß § 174 Abs. 3 GVG die anwesenden Personen zu verpflichten, die Tatsachen oder zur Kenntnis gelangte Schriftstücke geheim zu halten. Die Grundsätze der genannten Entscheidung dürften auf die finanziellen Verhältnisse eines Treuhänders übertragbar sein.

Das Landgericht Berlin ist im Juni 2017 dieser Argumentation gefolgt und hat den Klägeranwalt zu einer Verschwiegenheitserklärung verpflichtet.

 

Treuhänder vorzunehmenden Prüfungen. Dabei wird zugleich an die in § 157 VAG enthaltene aufsichtsrechtliche Regelung über den Treuhänder angeknüpft, wonach dessen Bestellung eine vorherige aufsichtsbehördliche Überprüfung der in Absatz 1 genannten Bestellungsvoraus- setzungen, darunter auch der Unabhängigkeit vom Versicherungsunternehmen, voraussetzt. Damit unterliegt die Prüfung und Feststellung der Unabhängigkeit der Entscheidung der BaFin.

  • 157 Abs. 1 Satz 1 VAG enthält zwar für die aufsichtsamtliche Prüfung der Unabhängigkeit einzelne Kriterien, die aber, wie aus dem Wort „insbesondere" folgt, nicht abschließend sind. Die - als selbstverständlich auch vom Gesetzgeber vorausgesetzte - Honorierung der fachlich und zeitlich aufwendigen Treuhändertätigkeit wird nicht genannt und kann weder dem Grunde noch dem Umfang nach Anlass für eine Verneinung der Unabhängigkeit sein. Dies folgt schon daraus, dass Treuhänder, anders als z.B. Wirtschaftsprüfer, nur natürliche Personen sein können, die jeweils für sich allein ein Versicherungsunternehmen zu begleiten haben und damit gegebenenfalls vollauf ausgelastet sein können. Allerdings muss die Honorierung dem Zeitaufwand und Schwierigkeitsgrad entsprechen und darf nicht als Erfolgshonorar gestaltet sein.

Aus § 157 Abs. 2 Satz 3 VAG folgt, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders auch der laufenden Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde unterliegt. Hierzu hat die Behörde u.a. bei im Hause des Versicherers durchgeführten Prüfungen Gelegenheit, in deren Rahmen in der Regel auch die Vorlage der Treuhänderverträge verlangt wird. Außerdem sind Änderungen sowohl im Sinne des § 203 Abs. 2 als auch Bedingungsänderungen nach § 203 Abs. 3 VVG der Aufsichtsbehörde vorzulegen, die die Einhaltung aller in § 203 VVG in Verbindung mit §§ 155 und 157 VAG genannten Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine Prämien- und/oder Bedingungsanpassung überprüft.

Stellt die Aufsichtsbehörde fest, dass die erforderliche Unabhängigkeit eines Treuhänders nicht (mehr) gegeben ist, so veranlasst sie die Bestellung eines neuen Treuhänders. Materiell den Anforderungen des § 203 Abs. 2 und 3 VVG entsprechende, vom bisherigen Treuhänder bis zu seiner Abberufung erteilte, Zustimmungen bleiben wirksam.

Es ist deshalb der Definition zu folgen, die Grote in seiner umfangreichen Dissertation zur Stellung der Treuhänder entwickelt hat:10

„Unabhängig ist ein Treuhänder dann, wenn er in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, seinen Lebensunterhalt nicht ausschließlich aus seiner Treuhandtätigkeit bestreitet, mit Ausnahme von Bestellungsrechtsverhältnissen aufgrund einer Treuhändertätigkeit nach dem VAG und VVG keine sonstigen Dienst- und Anstellungsverhältnisse mit dem bestellenden Versicherer oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen bestehen oder bestanden, er keine bedeutende Beteiligung im Sinne von § 7a Abs. 2 Satz 3 VAG an dem bestellenden

 
   

 

10 „Der Treuhänder bei Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung, Anforderungen an die Unabhängigkeit und ihre rechtliche Überprüfung“; Rechtsgutachten erstellt im Auftrag des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. von Prof. Dr. Wolfgang Voit, Philipps-Universität Marburg, veröffentlicht in VerR 2017 Heft 12 Seite 727 ff

 

Versicherer besitzt und in Fragen seiner konkreten Amtsausübung frei von außergesetzlichen Bindungen ist.“11

Angesichts der sich verstärkenden Diskussion über die Unabhängigkeit der Treuhänder könnte aus Sicht des Verbraucherschutzes der falsche Eindruck entstehen, dass Treuhänder täglich einem Interessenkonflikt zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmern ausgesetzt sind, und dass man sich fragen muss, ob sie auch wirklich die Interessen der Versicherungsnehmer vertreten. Tatsächlich ist es aber die Aufgabe des Treuhänders, auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen bei der Prämienfestsetzung zu achten. Er handelt also nur indirekt im Verbraucherinteresse, indem er Gesetzesverstöße des Versicherungs- unternehmens verhindert. Die Alltagsarbeit des Treuhänders besteht darin, zu prüfen, ob bei der Kalkulation der Prämienanpassungen alle Rechtsvorschriften beachtet werden. Zentraler Punkt ist dabei die Prämienhöhe, die stark durch die eingerechneten Sicherheitsmargen beeinflusst wird. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind dabei bereits so gestaltet, dass es im eigenen Interesse des Treuhänders liegt, strikt auf die Einhaltung aller Vorschriften zu achten: Genehmigt er zu hohe Sicherheiten, besteht die Gefahr, dass bei einer gerichtlichen Überprüfung der Beitragsanpassung herauskommt, dass die Anpassung höher als erforderlich war (Verstoß gegen § 8b AVB). Genehmigt er zu niedrige Sicherheiten, besteht die Gefahr, dass bei einer gerichtlichen Überprüfung der folgenden Beitragsanpassung festgestellt wird, dass nicht ordentlich und gewissenhaft kalkuliert wurde (Verstoß gegen § 155 VAG). Offensichtlich ist bisher den Treuhändern die Umsetzung der Rechtsvorschriften gut gelungen, da erfolgreiche Klagen gegen Beitragsanpassungen seltene Ausnahmefälle sind.

 
   

 

11 Grote, Die Rechtsstellung der Prämien-, Bedingungs- und Deckungsstocktreuhänder nach dem VVG und dem VAG, 2002, S. 493 f.