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Veränderung von Rechnungsgrundlagen für den Bestand speziell: Erhöhung des Sicherheitszuschlages

Stellungnahme der Vereinigung unabhängiger Treuhänder für die private Krankenversicherung e.V.

Fassung 31.03.2016

  1. Definition der Rechnungsgrundlagen

    In § 2 Abs. 1 KVAV werden als Rechnungsgrundlagen genannt
    • Rechnungszins
    • Ausscheideordnung (Sterbetafel und Storno)
    • Kopfschäden
    • Sicherheitszuschlag (σ)
    • sonstige Zuschläge, aufgegliedert gemäß § 8 KVAV in
      Zuschläge für
      • unmittelbare Abschlusskosten
      • mittelbare Abschlusskosten
      • Schadenregulierungskosten
      • sonstige Verwaltungskosten
      • erfolgsunabhängige BRE
      • den Standardtarif (Ω)

den Zuschlag

  • bei substitutiven Krankenversicherungen zur Umlage der Begrenzung der Beitragshöhe im Basistarif gemäß § 154 VAG (Ω5)
  • für den Basistarif zusätzlich zur Umlage der Mehraufwendungen durch Vorerkrankungen
  • Übertrittswahrscheinlichkeiten zur Berechnung des Übertragungswertes

Neben den anderen Rechnungsgrundlagen ist also auch der Sicherheitszuschlag als Rechnungsgrundlage definiert. Er ist nach § 2 Abs. 3 KVAV mit ausreichenden Sicherheiten zu versehen und muß gemäß § 7 KVAV mindestens 5% der individuellen Bruttoprämie betragen.

  1. Anpassung von Rechnungsgrundlagen

    Aufgrund der Beitragsanpassungsklausel in § 8b AVB Teil I (i.a. Musterbedingungen) in Verbindung mit § 203 Abs. 2 VVG „ist der Versicherer bei einer ... Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage (hier lt. Satz 3: Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten) ... berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Berechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, ... usw.“

    Unter Berücksichtigung des BGH-Urteils (Az: IV ZR 117/02) vom 16.06.2004 gilt dies immer nur für die betroffenen Beobachtungseinheiten.

Folgerung

Die o.a. Formulierung in § 203 Abs. 2 VVG ist eine andere, aber gleichbedeutende Beschreibung des auslösenden Faktors AF (gemäß AVB oder auch den technischen Berechnungsgrundlagen). Nur wenn der AF für eine Beobachtungseinheit außerhalb eines zulässigen Intervalls von z.B. [0,9;1,1] liegt, ist die Rechtsgrundlage gegeben, um dort eine Beitragsanpassung zuzulassen.

Da der AF wie oben angegeben ermittelt wird, könnte man der Ansicht sein, dass auch nur diese Rechnungsgrundlagen „Kopfschäden und/oder Sterbewahrscheinlichkeiten“ angepasst werden dürften.

Wenn man die Identität der Begriffe „Rechnungs- bzw. Berechnungsgrundlagen“ (m.E. zulässigerweise) unterstellt, lassen sowohl der Wortlaut „... berichtigte Berechnungsgrundlagen ...“ (Plural!) als auch die bisherige Genehmigungspraxis des BAV bis 1994 sowie die Auslegung und Durchführung der Zustimmungsverfahren durch die Treuhänder seither (z.B. Stornoansätze, Kosten) eindeutig den Schluss zu, dass unter den o.a. Voraussetzungen alle Rechnungsgrundlagen berichtigt, d.h. verändert werden dürfen.

Damit ist aber auch eine Veränderung des Ansatzes für den Sicherheitszuschlag grundsätzlich möglich.

  • Verfahren für die Anpassung von Rechnungsgrundlagen

    Bei Neukalkulationen (bzw. für das Neugeschäft in bestehenden Tarifen) ist das Unternehmen im vorgegebenen Rahmen der KVAV frei bei der Festsetzung der Rechnungsgrundlagen (und damit auch des Sicherheitszuschlages). Für diesen Personenkreis ist eine Erhöhung der rechnungsmäßigen Ansätze jederzeit möglich.

    Für den versicherten Bestand stellt sich die Lage grundlegend anders dar. Hier sind nur die Bestimmungen gemäß § 203 Abs. 2 VVG (und § 8b AVB) einschlägig. Bei der Nachkalkulation müssen nach diesen Vorschriften ggf. nicht mehr zutreffende Rechnungsgrundlagen berichtigt werden. Diese Auslegung entspricht auch der bisherigen Genehmigungs-/ Zustimmungspraxis.
  1. Fazit bei Beitragsanpassungen ohne Limitierungen

    Wenn der AF bezüglich einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage angesprochen hat, gilt für den Bestand grundsätzlich:

    Bei gesetzlich neu festgesetzter bzw. nicht mehr zutreffenden Rechnungsgrundlagen sind alle Rechnungsgrundlagen entsprechend zu berichtigen. Dies gilt auch für den Sicherheitszuschlag bei entsprechendem Nachweis.

    Daraus folgt insbesondere, dass somit z.B. nicht nur sinkende, sondern auch steigende Kostenansätze zulässig sein könnten, sofern sie nachweislich (kontinuierlich) ohne Verschulden des Versicherers ansteigen (beispielsweise bei sinkenden Beiträgen).

Bemerkung

Hier ist z.B. eine Entscheidung des Treuhänders über die Angemessenheit der jeweiligen Ansätze erforderlich. Der bloße Nachweis und die Übernahme für den Bestand kann nicht befriedigen, wie das in einem Treuhändergespräch von Römer vorgebrachte Beispiel zeigt (verfehlte Unternehmenspolitik: bedenkliche Ausweitung der Abschlusskosten durch zu hohe Provisionszahlungen bei Hereinnahme neuer Vertriebswege - Drückerkolonne - o.ä.).

Der geforderte Nachweis ist für den Sicherheitszuschlag insgesamt über das Unternehmen gesehen - unter Verwendung der Abrechnungsergebnisse der „Zerlegungen“ – zu führen und dürfte daher wohl schwierig sein.

Wenn der Nachweis geführt wird, dass der Sicherheitszuschlag in der Zukunft nicht ausreichen wird, kann sich der Treuhänder auch einer Erhöhung für den Bestand nicht verschließen.

Allerdings sollte er dabei möglichst die Rücknahme der Erhöhung fordern, falls sich diese Prognose nicht bestätigt.

Hat σ bisher weniger als 5% betragen (z.B. Übergangsregelung anlässlich der Einführung der Umlage Ω=0,1% für den Standardtarif zu Lasten von σ), so muss σ (für das Neugeschäft) auf den Mindestsatz angehoben werden (Wie sich Unternehmen verhalten sollen, die aus technischen Gründen ihre Bestände immer noch nicht trennen können, müssen die Treuhänder hier nicht entscheiden).

Desweiteren scheint bei „gekappten“ PPV-Beiträgen eine Anhebung dieser Beiträge bei Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze zugunsten von σ zulässig, um eine Neukalkulation aller Beiträge zu vermeiden.

Weniger bedenklich könnte prima vista eine Erhöhung der Kostensätze oder auch des Sicherheitszuschlages sein bei einer Finanzierung der Differenz aus Unternehmensmitteln (evtl. auch aus RfB-Mitteln, da ein Rückfluss daraus an die Versicherten garantiert ist).

Allerdings sollten hier ggf. denkbare steuerliche Auswirkungen geprüft werden, da es sich dabei teilweise um (in der KV problematische) Kostenrückstellungen handeln könnte (vgl. Nies VW 16/76, S. 916).

Da bei einer Finanzierung von Zuschlägen nicht übersehbare Langzeitwirkungen auftreten können (weitere Finanzierungen müssten im Prinzip für jeden Mehrbeitrag bei künftigen Beitragsanpassungen auf Dauer sichergestellt werden), ist sie im Ergebnis eher zu verwerfen.

Auf den GB BAV 1990 (S. 68/69 - Ziff. 5.8) wird in diesem Zusammenhang verwiesen. Hier heisst es:
„Im Rahmen von Tarifanpassungen werden die Beitragserhöhungen häufig limitiert,.. (Δ = Anteil der Sicherheits- und Kostenzuschläge am Bruttobeitrag) ... Für den Teil ΔxB erfolgt keine Entnahme aus der RfB; ... (wg. der Nettofinanzierung) ... und mindern daher den Gesamtbetrag der rechnungsmäßigen Sicherheits- und Kostenzuschläge. Bei Limitierungen ... kann sich daher die Kostendeckung für den Bestand so stark verschlechtern, dass die Kostensätze nicht mehr ausreichend sind. Um dies zu vermeiden, könnte auch der Beitragsteil ΔxB ... aus RfB-Mitteln finanziert werden. Ein Verfahren ... wurde einem Krankenversicherer genehmigt.
(vgl. dazu auch die folgenden Überlegungen bei Limitierungen)

  1. Besonderheiten bei Limitierungen / Beitragssenkungen

    Die Praxis sieht vor, dass Limitierungen (Beitragsnachlässe) aus Einmalbeiträgen auf Nettobasis finanziert werden. Für den nicht lfd. erhobenen Mehrbeitrag ergibt sich daher kein Anteil für Kosten und Sicherheitszuschlag.

    Hinsichtlich der Kosten wird aufgrund der KVAV die geforderte Gesamtkostendeckung durch Ansatz eines berichtigten neuen Kostensatzes erreicht. Dies gilt auch z.B. bei zurückgehenden Beitragseinnahmen durch ggf. höhere Prozentansätze. Gleichbleibende Stückkosten bei fallendem Prämienniveau dürften durchaus zustimmungsfähig sein, auch wenn sich rein rechnerisch dadurch (zwangsläufig) die eingerechneten Prozentsätze erhöhen.

    Beim Sicherheitszuschlag entsteht bei Nettolimitierungen/-Senkungen oder bei einer „Kopfschadenfinanzierung“ ebenfalls eine schleichende „Aushöhlung“. Der aus den eingerechneten lfd. Zuschlägen erwirtschaftete rechnungsmäßige Betrag steigt entweder nicht in analoger Weise wie das Risiko, bleibt evtl. gleich (bei stiller BAP) oder sinkt gar bei Beitragssenkungen (wie z.B. für Ältere mit VAG § 150-Mitteln praktiziert). Eine entsprechende Erhöhung wie bei den Kostenzuschlägen wurde hier jedoch bisher nicht in Erwägung gezogen.

    Im Ergebnis wäre daher möglicherweise ebenfalls an eine Anhebung der σ-Ansätze im Verhältnis der weglimitierten Bruttobeiträge zu denken. Allerdings müsste auch dafür ein Nachweis über die tatsächlich erforderliche Höhe geführt werden.

    Zusammenfassend ist dabei zu bedenken, dass der Beitrag für das niedrigste Erwachsenenalter ebenfalls ein σ von mindestens 5% sowie ausreichende Kosten enthält und die Absenkungen in der Regel nicht auf ein tieferes Niveau als den Beitrag des niedrigsten Erwachsenenalters erfolgen.
  2. Zusammenfassung

    Der Sicherheitszuschlag soll als Ausgleich für zufällige Schwankungen im Geschäftsverlauf dienen (vorausgesetzt, dass dabei echte Schwankungen vorliegen). Diese Voraussetzung trifft in der Regel jedoch nur für die Schäden zu, bei allen anderen Einflussfaktoren wie z.B. gestiegenes Zinsänderungs- bzw. Kapitalanlagerisiko, höherer Konkurrenzdruck durch die Deregulierung oder höhere EDV-Risiken als früher (etwa Millenium-Problem, möglicher Ausfall komplexerer Systeme u.ä.) handelt es sich um wahrscheinlichkeitstheoretisch (etwa nach Albrecht) quantifizierbare Größen, die i.a. wegen ihrer eher marginalen Bedeutung bereits mit dem Mindestansatz von 5% abgedeckt sind.

    Untersuchungen in der DAV (Binder/Dietrich) zeigen, dass der prozentual erforderliche Sicherheitszuschlag mit steigender Unternehmensgröße sinkt, was auch für die Ruinwahrscheinlichkeit gilt, die hier letztendlich zur Debatte steht.

    Angesichts der Beitragsanpassungsklausel und den bestehenden Solvabilitätsvorschriften besteht ein Konkursrisiko in der Krankenversicherung ohnehin allenfalls in der Theorie.

    Bei Unternehmen mit wachsenden Beständen und steigenden Beitragseinnahmen sowie sonst ausreichenden Rechnungsgrundlagen sinkt die Ruinwahrscheinlichkeit kontinuierlich, so dass i.a. eher an eine Senkung des Sicherheitszuschlages (bis auf das zulässige Minimum) zu denken wäre.

    Insofern ist der Sicherheitszuschlag immer tarifübergreifend zu sehen. Selbst bei Neukalkulationen ist der im Unternehmen übliche Gesamtansatz ausreichend, da jeder dort neu Versicherte die Gesamtschwankungen weiter vermindert, während im (neuen) Tarif selbst anfangs die Schwankungen sehr groß sein können (Grenzkostenproblem).

    Abschließend schließt sich somit eine Erhöhung des Sicherheitszuschlags für den Bestand nahezu aus.