Stellungnahme der Vereinigung unabhängiger Treuhänder für die private Krankenversicherung e.V.
Fassung 31.03.2016
- Vorbemerkungen
- Unabhängigkeit des Treuhänders
- Prüfung von Beitragsanpassungen
- Der Aktuartreuhänder
- Rechtsgrundlage für die Beitragsanpassung
- Prüfung gemäß § 155 Absatz 1 VAG i.V.m. § 203 Absatz 2 VVG und unter Beachtung der Zustimmungserfordernisse aus § 155 Absatz 2 VAG
- Nachweis der Prüfungsdurchführung
- Zustimmung
- Prüfung von Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gemäß § 203 Absatz 3 VVG
- Abstimmungsnotwendigkeit zwischen juristischem Treuhänder und Aktuartreuhänder
- Vorbemerkungen
Die private Krankenversicherung in Deutschland wird überwiegend mit dem Anwartschaftsdeckungsverfahren („nach Art der Lebensversicherung“) kalkuliert, da die Versicherungsverträge langfristig angelegt sind.
Weil für diese Verträge das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers ausgeschlossen oder zumindest weitgehend eingeschränkt sind (§ 206 VVG), besteht sowohl aus Gründen der Gewährleistung der dauernden Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen als auch wegen der nicht auszuschließenden Notwendigkeit, Änderungen der Verhältnisse des Gesundheitswesens Rechnung zu tragen, ein möglicher Anpassungsbedarf.
Als Schutz der Versicherungsnehmer gegen unangemessene Änderungen seitens des Versicherers knüpft der Gesetzgeber die rechtliche Wirksamkeit von Anpassungen des Beitrags (der Gesetzgeber verwendet i.d.R. statt „Beitrag“ den Begriff „Prämie“) und von Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen an die Prüfung und Zustimmung unabhängiger Treubänder (§ 203 Absatz 2 und 3 VVG, § 155 VAG).
Grundvoraussetzung für eine wirksame Zustimmung der Treuhänder ist deren Unabhängigkeit (dazu unter B).
Es gibt keine gesetzlichen Bestimmungen über die Durchführung der Prüfung oder die Ausgestaltung der Zustimmung.
Die Vereinigung unabhängiger Treuhänder für die Private Krankenversicherung e.V. legt deshalb nachfolgend die von ihren Mitgliedern anerkannten Grundsätze einer ordnungsgemäßen Berufsausübung dar, nach denen ein unabhängiger Treuhänder im Rahmen seiner Eigenverantwortlichkeit die Prüfungen gemäß den § 203 Absatz 2 und 3 VVG sowie § 155 VAG durchführt und ggf. seine Zustimmung erteilt.
Die Grundsätze für die mathematische Prüfung von Beitragsanpassungen durch den Aktuartreuhänder (§ 203 Absatz 2 VVG und § 155 VAG) bzw. für die juristische Prüfung von Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen durch den Bedingungstreuhänder (§ 203 Absatz 3 VVG) sind getrennt in den Abschnitten C. und D. dargestellt.
In Abschnitt E. wird zur Abstimmungsnotwendigkeit zwischen juristischem Treuhänder und Aktuartreuhänder Stellung genommen.
Es wird jeweils der Inhalt der Prüfung sowie die Abgrenzung der Prüfungsaufgaben aufgeführt. Eine abschließende Aufzählung der vorzunehmenden Prüfungshandlungen wird nicht gegeben, da der genaue Umfang der Prüfung nach pflichtgemäßem Ermessen durch den Treuhänder festgelegt wird und sich durch während der Prüfung gewonnene Erkenntnisse auch laufend ändern kann.
Sofern Treuhänder in Tarifen, die nach Art der Schadenversicherung kalkuliert sind, über gesetzliche Bestimmungen oder vertragliche Vereinbarungen bei Beitrags- oder AVB-Änderungen tätig werden, können diese Grundsätze in analoger Weise nutzbar gemacht werden.
- Unabhängigkeit des Treuhänders
Nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 155 VAG, § 203 VVG) ist die Wirksamkeit der Treuhänderzustimmung insbesondere an seine Fachkunde sowie Unabhängigkeit gebunden. Diese Unabhängigkeit ist gerichtlich nachprüfbar. Ihr Fehlen führt nicht nur zur Unwirksamkeit der Zustimmung, sondern ggf. auch der im laufenden Versicherungsvertrag vorgenommenen Änderungen. Deshalb ist aus der Sicht der Vereinigung von elementarer Bedeutung, dass der Treuhänder nicht nur wirklich unabhängig ist, sondern dass schon jeder Anschein einer Abhängigkeit vermieden wird.
In diesem Sinne erscheint der Vereinigung - auch mit Hinblick auf die gesetzlichen Ausschlusstatbestände (§ 157 Absatz 1 Satz 1 VAG) - die Unabhängigkeit und damit eine eigenverantwortliche, von Interessenkollisionen freie Entscheidung grundsätzlich nicht gewahrt, wenn z.B.
- den Treuhänder mit dem ihn beauftragenden Versicherungsunternehmen oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen ein Anstellungsvertrag oder ein sonstiger auf Erbringung von Dienstleistungen gerichteter Vertrag (z.B. Beratervertrag, Mandatsverhältnisse) verbindet bzw. aus einem solchen Vertrag noch Ansprüche gegen das Unternehmen bestehen,
- der Treuhänder in den letzten drei Jahren in einem Anstellungsverhältnis oder in sonstiger auf dauernde Erbringung von Dienstleistungen gerichtetem Vertragsverhältnis zu dem ihn beauftragenden Versicherungsunternehmen oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen stand,
- der Treuhänder sich gleichzeitig als Versicherungsmakler oder Versicherungsagent betätigt oder wesentliche Anteile an einem solchen Unternehmen hält,
- zwischen dem Treuhänder und einem Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied oder dem Verantwortlichen Aktuar oder dem Justitiar des ihn beauftragenden Versicherungsunternehmens oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens ein Angehörigenverhältnis im Sinne des § 11 StGB besteht,
- der Treuhänder Mitglied in einem Gremium des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. oder des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. ist.
Die vorstehenden Regelungen gelten entsprechend für Umgehungstatbestände.
- Prüfung von Beitragsanpassungen
- Der Aktuartreuhänder
Der vom Gesetzgeber für die Prüfung von Beitragsanpassungen vorgesehene unabhängige Treuhänder wird als mathematischer Treuhänder oder als Aktuartreuhänder bezeichnet. Die vom Aktuartreuhänder zu verlangenden fachlichen Qualifikationen sowie Bestellungsmodalitäten sind im Aufsichtsrecht geregelt (§ 157 Absatz 1 und 2 VAG).
Der Aktuartreuhänder ist zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung verpflichtet. Dabei sind die Prüfungshandlungen mit dem erforderlichen Maß an Sorgfalt so zu bestimmen und durchzuführen, dass unter Beachtung der Grundsätze der Wesentlichkeit und der Wirtschaftlichkeit der Prüfung die gesetzlich geforderte Beurteilung der Beitragsanpassung möglich wird.
Der Aktuartreuhänder hat bei seiner Prüfung das Urteil des BGH vom 16.06.2004 (IV ZR 117/02; „Zu den Voraussetzungen und den Berechnungsmaßstäben für eine Prämienanpassung durch den Krankenversicherer“) zu beachten.
- Rechtsgrundlage für die Beitragsanpassung
Bei Vorlage einer Beitragsanpassung für einen Tarif hat der Aktuartreuhänder die Rechtsgrundlage zu überprüfen. Diese wird sich überwiegend auf die in der Privaten Krankenversicherung (PKV) verwendete Beitragsanpassungsklausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen stützen, die insoweit den privatrechtlichen § 203 Absatz 2 VVG ausfüllt, aufsichtsrechtlich in § 155 Absatz 3 und 4 VAG sowie vertragsrechtlich in den AVB (z. B. § 8b MB/KK und MB/KT) geregelt ist.
Hiernach sind jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen sowie die erforderlichen mit den kalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten zu vergleichen. Das kommentierte Ergebnis hat das Unternehmen spätestens vier Monate nach dem Beobachtungszeitraum dem Aktuartreuhänder und der Aufsichtsbehörde vorzulegen.
Ergibt der Vergleich der Versicherungsleistungen („Schadengegenüberstellung“) eine Abweichung von mehr als dem in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) niedergelegten Vomhundertsatz, muss das Unternehmen alle Tarifbeiträge überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend angesehen werden kann, mit Zustimmung des Treuhänders anpassen [vgl. Stellungnahme der Vereinigung unabhängiger Treuhänder für die Private Krankenversicherung e.V.: „Zur vorübergehenden Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen“].
Teilweise sehen die AVB noch einen zweiten (niedrigeren) Vomhundertsatz vor, ab dem der Versicherer eine Beitragsüberprüfung und ggf. eine Beitragsanpassung vornehmen kann.
Das genaue Verfahren der Schadengegenüberstellung ist in den Technischen Berechnungsgrundlagen festzulegen, wobei es weitgehend durch § 15 der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV), die auf § 160 Nr. 7 VAG basiert, normiert wird.
Ergibt der Vergleich der Sterbewahrscheinlichkeiten (das Verfahren ist durch § 16 KVAV vorgegeben) eine Abweichung von mehr als 5 %, ist unabhängig vom Ergebnis der Schadengegenüberstellung eine Beitragsüberprüfung durchzuführen.
Der Aktuartreuhänder hat die o.a. Voraussetzungen für die Beitragsanpassung (insbesondere das Vorliegen einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung des Schadenbedarfs) zu prüfen.
- Prüfung gemäß § 155 Absatz 1 VAG i.V.m. § 203 Absatz 2 VVG und unter Beachtung der Zustimmungserfordernisse aus § 155 Absatz 2 VAG
Die Prüfung und Zustimmung des Treuhänders gemäß § 155 Absatz 1 VAG ist vom Gesetzgeber als Nachfolgeregelung der bis Juli 1994 geltenden behördlichen Beitragsanpassungsgenehmigung eingeführt worden.
Die Gesetzesbegründung zu § 12 b VAG a.F. (Vorläufer des § 155 VAG) führt aus, dass es dem Versicherer nicht überlassen werden kann, Prämienänderungen einseitig selbst festzulegen. Weiter heißt es: Zwar ist eine nachträgliche Prämienkontrolle durch die Aufsichtsbehörde möglich, jedoch lassen sich unzureichende oder überhöhte Prämien nachträglich nicht wirksam korrigieren. Auf eine vorherige Überprüfung durch einen unabhängigen Dritten kann daher nicht verzichtet werden.
Die Prüfung nach § 155 Absatz 1 VAG hat also sicherzustellen, dass bei der Beitragsanpassung die Rechte der Versicherten ausreichend gewahrt sind.
Der Versicherer hat dem Aktuartreuhänder sämtliche für die Prüfung der Beitragsanpassung erforderlichen Technischen Berechnungsgrundlagen einschließlich der hierfür benötigten kalkulatorischen Herleitungen und statistischen Nachweise vorzulegen.
In den Technischen Berechnungsgrundlagen sind dabei die Grundsätze für die Berechnung der Prämien und Alterungsrückstellung einschließlich der verwendeten Rechnungsgrundlagen und mathematischen Formeln vollständig darzustellen.
Der Aktuartreuhänder hat zu prüfen, ob die Berechnung der Beiträge für die bestehenden Versicherungsverhältnisse im Rahmen der Beitragsanpassung mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften übereinstimmt.
Dies sind namentlich die Bestimmungen der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) und Einzelregelungen im VAG (z.B. § 146 Absatz 2 oder § 155 Absatz 3 Satz 4 VAG).
Eine Auflistung der relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die entsprechenden für notwendig erachteten Prüfungsinhalte sind der Anlage zu entnehmen.
Bei den dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen ist davon auszugehen, dass sie vollständig und in sich frei von Fehlern sind. Die Verantwortung hierfür trägt der Versicherer (vgl. § 155 Absatz 1 VAG) bzw. der Verantwortliche Aktuar des Versicherers (vgl. § 156 Absatz 2 VAG).
Die rechnerische Kontrolle des Zahlenmaterials durch den Treuhänder schließt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wesentlichkeit und des Fehlerrisikos die Möglichkeit von Stichproben und Plausibilitätsprüfungen ein.
Daneben sind im Rahmen des vorgelegten Materials Vollständigkeitskontrollen und Kontrollen auf sachliche Richtigkeit durchzuführen.
Insbesondere ist zu prüfen, ob die zur Prämien- und Alterungsrückstellungsberechnung verwendeten Formeln den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik entsprechen.
Für seine Hauptaufgabe, die Bewertung des vorgelegten Zahlenmaterials und der ihm zugrunde liegenden statistischen Annahmen, hat der Aktuartreuhänder einen eigenen Beurteilungs- und Ermessensspielraum.
Er hat insbesondere zu beurteilen, ob die vom Verantwortlichen Aktuar festgelegten Rechnungsgrundlagen, auf denen die Prämienberechnung basiert, den Anforderungen der Kalkulationsverordnung genügen.
Ist zweifelhaft, ob eine angewandte Berechnungsmethode versicherungsmathematisch anerkannt ist oder ob eine Rechnungsgrundlage ausreichend sicher ist, hat der Aktuartreuhänder alles Geeignete zu tun, um sich Klarheit zu verschaffen.
Bei seiner eigenverantwortlichen Beurteilung hat der Aktuartreuhänder die einschlägigen fachlichen Verlautbarungen (DAV, Aufsichtsbehörde, etc.) zu beachten und sorgfältig zu prüfen, ob und inwieweit diese in dem von ihm zu beurteilenden Fall vom Verantwortlichen Aktuar angewendet worden sind.
Bei Abweichung bzw. Nichtbeachtung von versicherungsmathematischen Grundsätzen bei der Beitragsanpassung hat der Treuhänder den Verantwortlichen Aktuar darauf hinzuweisen und auf Korrektur zu drängen.
Kann sich der Treuhänder im Rahmen der Prüfung nach § 155 Absatz 1 VAG nicht mit dem Versicherer darüber einigen, ob eine Beitragsänderung für einen Tarif ganz oder teilweise erforderlich ist, hat er nach § 155 Absatz 3 Satz 5 VAG die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu unterrichten.
Während die Bestimmungen des § 155 VAG das Aufsichtsrecht betreffen, stellt § 203 Absatz 2 VVG die Rechtsgrundlage im privatrechtlichen Bereich dar.
Nach der Gesetzesbegründung zu § 178 g VVG a.F. (Vorläufer des § 203 VVG) ist das Instrumentarium der Treuhänderprüfung und -zustimmung erforderlich, weil das allgemeine Kündigungsrecht bei Prämienerhöhung nach § 31 VVG a.F. (jetzt § 40 VVG) dem Versicherungsnehmer wegen der faktischen Beschränkung seiner Kündigungsmöglichkeit in der Krankenversicherung keinen ausreichenden Schutz gegen unangemessene Prämienerhöhung bietet.
Sind die Rechnungsgrundlagen für die Beitragsanpassung in Übereinstimmung mit den verfügbaren Wahrscheinlichkeitstafeln nach bester Überzeugung so bestimmt, dass unter Berücksichtigung sachlich angemessener Zuschläge (z.B. für Abschluss-, Schadenregulierungs- und Verwaltungskosten) mit einem danach berechneten Beitrag bei gleich bleibendem Schadenbedarf die Versicherungsleistung als dauernd erfüllbar angesehen werden kann, ist die so kalkulierte Prämie nicht unangemessen.
Es ist zu verlangen, dass der Versicherer und sein Verantwortlicher Aktuar die Rechnungsgrundlagen mit der gebotenen Vorsicht und der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns festlegen.
Auch nach § 203 Absatz 2 VVG, der einen expliziten Verweis auf die entsprechenden aufsichtsrechtlichen Bestimmungen im VAG enthält, ist eine Prämienanpassung nur bei einer nicht nur vorübergehenden Änderung des tatsächlichen Schadenbedarfs gegenüber der Technischen Berechnungsgrundlage oder bei einer nicht nur vorübergehenden Abweichung der Sterbewahrscheinlichkeiten zulässig.
Eine angezeigte Äquivalenzstörung bei der Sterblichkeit wird allerdings bereits per Gesetz (s. § 155 Absatz 4 VAG) als nicht vorübergehend angesehen.
Es ist eine wesentliche Aufgabe des Treuhänders, die durch den Verantwortlichen Aktuar vorzunehmende Überprüfung der Schadenbedarfsänderung und ihrer Ursachen zu bewerten. Verändern sich die Parameter aus Gründen, die nicht vom Versicherer zu vertreten sind, und ist eine Beitragsanpassung an diese geänderten Verhältnisse notwendig (Beitragserhöhung oder auch -senkung), so hat der Treuhänder dieser nicht unangemessenen Beitragsanpassung zuzustimmen, vorbehaltlich der Prüfung nach § 155 Absatz 2 VAG.
Eine Beitragsanpassung erfolgt insofern nicht, als die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erst- oder einer Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren und ein ordentlicher und gewissenhafter Aktuar dies insbesondere anhand der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen hätte erkennen müssen (§ 155 Absatz 3 Satz 4 VAG).
Die von den Versicherungsnehmern mit Zustimmung des Treuhänders zu zahlenden Prämien ergeben sich ggf. erst unter Berücksichtigung von Mehrbeitragsbegrenzungen, die aus Mitteln der Rückstellung für erfolgsunabhängige bzw. erfolgsabhängige Beitragsrückerstattung (RfeuB bzw. RfeaB) finanziert werden, d.h. aus Überschussmitteln, die nach § 150 Absatz 4 bzw. § 151 Absatz 2 VAG für die Überschussbeteiligung der Versicherten zu verwenden sind.
Da sich diese Maßnahmen auf den Umfang der tatsächlich zu zahlenden Mehrprämie auswirken, wurde der Treuhänder aufgrund des engen Sachzusammenhangs über § 155 Absatz 2 VAG an der Entscheidung über die Limitierung einer Prämienerhöhung beteiligt.
Nach dieser Vorschrift bedürfen der Zustimmung des Treuhänders:
- Zeitpunkt und Höhe der Entnahme sowie die Verwendung von Mitteln aus der RfeuB, soweit sie nach § 150 Absatz 4 VAG zu verwenden sind,
- die Verwendung der Mittel aus der RfeaB.
Der Treuhänder hat dabei darauf zu achten, dass die in der Satzung und in den AVB bestimmten Voraussetzungen erfüllt und die Belange der Versicherten ausreichend gewahrt sind.
Mit dem Zustimmungserfordernis bei der Entnahme aus der RfeaB soll sichergestellt werden, dass ein ausreichender Anteil dieser Rückstellung für Beitragslimitierungen zur Verfügung steht und nicht durch andere Verwendungszwecke (z.B. Barausschüttungen, Leistungserhöhungen) beeinträchtigt wird.
Bei der Verwendung der Mittel aus der RfeuB bzw. RfeaB zur Begrenzung von Prämienerhöhungen hat der Treuhänder insbesondere auf die Angemessenheit der Verteilung auf die Versichertenbestände mit dem gesetzlichen Zuschlag und ohne einen solchen zu achten sowie dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der prozentualen und absoluten Prämiensteigerungen für die älteren Versicherten ausreichend Rechnung zu tragen.
Die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten und die Zumutbarkeit sind unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum. Bei ihrer Prüfung ist ein typisierender, auf das jeweilige Kollektiv bezogener Maßstab zugrunde zu legen.
- Nachweis der Prüfungsdurchführung
Der Aktuartreuhänder hat die Durchführung der Beitragsanpassungsprüfung und sein Zustimmungsergebnis angemessen zu dokumentieren. In den Arbeitspapieren müssen die vorgenommenen Prüfungen nach Art, Umfang und Ergebnis festgehalten werden.
Ordnungsgemäß angelegte Arbeitspapiere dienen der Beurteilung der vom Treuhänder getroffenen Feststellungen sowie dem Nachweis, dass der Treuhänder die ihm obliegenden Pflichten erfüllt hat.
Insbesondere die Zustimmungen nach Maßgabe des § 155 Absatz 2 VAG bedürfen einer nachvollziehbaren Darlegung der Entscheidungsfindung.
- Zustimmung
Die Zustimmung zur Beitragsanpassung soll aus Beweisgründen dem Versicherer schriftlich erteilt werden. Hierbei sind § 203 Absatz 2 VVG, § 155 VAG und die vertragsrechtliche Bestimmung anzugeben.
Der Zustimmungsinhalt bestimmt sich aus dem Zustimmungserfordernis.
- Prüfung von Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gemäß § 203 Absatz 3 VVG
Vorbemerkung
Die nachfolgenden Grundsätze beschränken sich ausschließlich auf AVB-Änderungen gemäß § 203 Abs. 3 VVG (vgl. § 18 der Musterbedingungen).
Die nachstehenden Ausführungen können und sollen keinen Kommentar zu § 203 Abs. 3 VVG darstellen. Insbesondere stellen sie keinen Katalog von abzuhakenden Punkten dar, nach dessen Erledigung die Zustimmung des juristischen Treuhänders sozusagen automatisch zu erteilen ist. Anders als bei einer Prüfung nach § 203 Abs. 2 VVG, der in Verbindung mit den Bestimmungen des VAG und der KVAV und den Technischen Berechnungsgrundlagen eine Prüfung anhand von Fakten erlaubt, die einen nur eingeschränkten Beurteilungsspielraum eröffnen, ist der juristische Treuhänder gehalten, unbestimmte Rechtsbegriffe („nicht nur vorübergehend“, „Änderung der Verhältnisse im Gesundheitswesen“, „hinreichende Wahrung der Belange der Versicherten“, „Angemessenheit“) zu konkretisieren und auszulegen. Dies hat zu erfolgen anhand der juristischen Methodenlehre, die hier nicht darzustellen ist. Daraus folgt zugleich auch, dass die Prüfung durch den juristischen Treuhänder keinem festen Schema folgen kann.
Obwohl die Zustimmung des Treuhänders nur bei Änderungen bereits vorhandener AVB's erforderlich ist, hat es sich als zweckmäßig erwiesen, den Treuhänder bereits bei Neueinführung von Tarifen zu befassen, um später bei AVB-Änderungen von gemeinsamen Grundlagen auszugehen.
I. Prüfungsschritte
- Handelt es sich um ein Versicherungsverhältnis, bei dem die Prämie entsprechend § 146, § 149 und § 150 i.V.m. § 160 VAG zu berechnen ist?
- Ist das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen?
206 VVG ist zu beachten.
- Liegt eine Veränderung der Verhältnisse im Gesundheitswesen vor? Die nachfolgenden Punkte sollen nur Anhaltspunkte sein:
- Gesetzesänderung (einschl. Verordnungen)
- Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung
- neue Behandlungsmethoden oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse - Wegfall ausdrücklich vereinbarter Behandlungsmethoden
- Veränderung von Abrechnungsmethoden der Leistungserbringer (z. B. GebüH)
- Änderung sozialer Anschauungen (z.B. Hinwendung zu „natürlichen“ Heilmethoden, Abkehr von der Chemie oder der Apparatemedizin)
- Ist die Veränderung der Verhältnisse im Gesundheitswesen von Dauer, also nicht vorübergehend?
- Sind die Veränderungen im Gesundheitswesen kausal für eine Bedingungsänderung?
- Hinreichende Wahrung der Belange der Versicherten?
- ohne Anpassung müssten sonst die Belange der Versicherten (dauernde Erfüllbarkeit der Verträge) gefährdet sein
- Belange des Versicherers sind unbeachtlich
- der Wahrung der Belange allerVersicherten nicht erforderlich
- hinreichende Wahrung bedeutet nicht optimale Wahrung der Belange der Versicherten
- Liegen die obigen Voraussetzungen vor, sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bedingungsänderung erfüllt.
- AVB-Änderung muß angemessen sein.
Die Erfüllung der rechtlichen Voraussetzungen einer AVB-Änderung reicht also nicht aus. Da eine AVB-Änderung einseitig ist, sollen über die Angemessenheitsprüfung die Interessen der Versicherten einfließen.
- Einzelinteressen sind unmaßgeblich.
- Auslegung von Vertragsinhalt und Vertragszweck
- Abgrenzung zwischen Werterhalt des ursprünglichen Versicherungsschutzes und aufgedrängter Bereicherung (Auswirkung auf die Prämienkalkulation?) - ggf. unterschiedliche Betrachtung eines Grundschutzes und eines Luxustarifs - Erwartungen des VN bei Abschluss des Tarifs
- Gesetzesänderungen, die sich auf alle auswirken, können ggf. eher durchschlagen (bei substitutiver Krankenversicherung)
II. Verfahren, Dokumentation
- Der Versicherer hat dem Treuhänder eine Gegenüberstellung von alten und neuen AVB als Synopse zu liefern und zu begründen, weshalb er eine AVB-Änderung durchführen möchte.
- Soweit eine vorgeschlagene AVB-Änderung Auswirkungen auf die Beitragskalkulation haben kann, hat der Versicherer dazu ergänzend Stellung zu nehmen, ggf. ist eine Stellungnahme des Aktuars (Negativattest) beizufügen. Dem AVB-Treuhänder bleibt es unbenommen, sich auch oder zusätzlich direkt an den Aktuar oder Prämien-Treuhänder zu wenden.
- Die Zustimmung zur AVB ist schriftlich zu erteilen und mit einer ggf. kurzen Begründung zu versehen.
- Der Treuhänder hat - jedenfalls intern - die vorgenommenen Prüfungen nach Art, Umfang und Ergebnis festzuhalten.
Dieser internen Dokumentation kommt eine erhöhte Bedeutung zu im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 28.12.1999 (VersR 2000, 214 ff.), die - zunächst im Falle der Beitragsanpassung - den Zivilgerichten eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung erlauben.
- Abstimmungsnotwendigkeit zwischen juristischem Treuhänder und Aktuartreuhänder
Nach dem Gesetz besteht keine Abhängigkeit der Treuhänder. Das bedeutet auch Unabhängigkeit untereinander; mit der Folge, dass die Treuhänder frei entscheiden, wie sie zu ihrer Beurteilung gelangen. Mit ihrer Qualifikation haben sie Änderungen aus ihrem eigenen Aufgabenbereich abzudecken. Hierbei haben die Treuhänder zu bedenken, wie weit ihre Entscheidung den Bereich des anderen Treuhänders berührt. In eigener Verantwortung haben sie zu entscheiden, ob sie in Überschneidungsfällen
- die Aussage des VU beziehungsweise des Verantwortlichen Aktuars für ausreichend halten
- oder ob sie eine Beratung mit externen Sachverständigen (selbstverständlich unter Wahrung der Anonymität)
- oder des anderen Treuhänders heranziehen.
Unter den beiden für das jeweilige Unternehmen tätigen Treuhändern ist Anonymität nicht zu wahren.
Da die tatsächlichen Gegebenheiten, die zu Tarif-, Bedingungs- oder Beitragsänderungen führen können, im Voraus nicht absehbar sind, ist es nicht möglich, einen abschließenden Katalog über alle Fälle aufzustellen, in denen der jeweilige Treuhänder sich auf dem anderen Gebiet sachkundig machen muss. In den folgenden Fällen ist es angeraten:
- Änderung des Gegenstandes,
- des Umfangs,
- des Geltungsbereiches und
- des Versicherungsschutzes.
Anlage 1
Prüfungsinhalte bei der Treuhänderzustimmung nach § 155 Abs. 1 und 2 VAG und § 203 Abs. 2 VVG
A. Vorarbeiten
Ermitteln der kalkulationsrelevanten Merkmale / Besonderheiten aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Tarifs i.S.v. Beobachtungseinheit (unter Beachtung zwischenzeitlicher AVB-Änderungen)
Zeitpunkt der Erstkalkulation bzw. der letzten Beitragsanpassung (sowie BAP-Ausmaß)
Ausmaß und Besonderheiten der letzten BAP
B. Rechtsgrundlage für Beitragsüberprüfung und Beitragsanpassung
Schadengegenüberstellung (gem. TB) vom:
Gegenüberstellung der Sterbewahrscheinlichkeiten vom:
Beobachtungszeitraum:
Geprüft am:
Besonderheiten (z.B. abweichende „Kann“-Regelung in AVB):
Maßgebliche Schaden- bzw. Sterblichkeits-AF außerhalb Toleranzintervall:
Beitragsüberprüfung wird ausgelöst für Beobachtungseinheiten:
C. Berichtigte Berechnungsgrundlagen
Aktualisierte TB vom:
Bisher gültige TB vom: (TB-Änderungen nach letzter BAP / Erstkalkulation?)
Prüfung der berichtigten Rechnungsgrundlagen auf Übereinstimmung mit den bestehenden Rechtsvorschriften (inkl. kalkulatorische Herleitungen und statistische Nachweise) bzw. auf Einhaltung der allgemeinen KVAV-Grundsätze (z.B. §§ 2 und 8 KVAV, wobei in der Krankheitskostenvollversicherung nach Tarifvarianten der „alten Welt“ (Zugang bis 31.12.2008), der „neuen Welt“ (Zugang bis 20.12.2012, geschlechtsabhängige Tarifvariante mit Mitgabe eines Übertragungswertes bei Unternehmenswechsel) und der Unisex-Tarifvariante (Zugang ab 21.12.2012) zu unterscheiden ist.
- Rechnungszins (§ 4 KVAV)
- Ausscheideordnungen (§ 5 KVAV)
- Sterbewahrscheinlichkeiten
- Stornowahrscheinlichkeiten (ggf. Berücksichtigung des Übertragungswertes)
- Kopfschäden (§ 6 KVAV)
unter Berücksichtigung von Selektionswirkungen, erschwerten Risiken, der ggf. geschlechtsunabhängigen Verteilung von Mutterschafts-/ Schwangerschaftsleistungen, der statistischen Aussagekraft des Ausgangsmaterials sowie von zwischenzeitlichen Sondereinflüssen (z.B. AVB-Änderungen)
- Profile
- Grundkopfschäden
- Geschlechterverteilung
in den Unisex-Tarifvarianten für die Zusammenfassung der geschlechtsabhängigen Rechnungsgrundlagen zu geschlechtsunabhängigen Rechnungsgrundlagen insbesondere bei der Kalkulation auf Stütztarifbasis
- Sicherheitszuschlag (§ 7 KVAV)
- Sonstige Zuschläge (§ 8 KVAV)
- unmittelbare Abschlusskosten (Sonderregel § 8 Abs. 3 KVAV zu lfd. Zuschlag / Zillmerung)
- mittelbare Abschlusskosten
- Schadenregulierungskosten
- sonstige Verwaltungskosten
- erfolgsunabhängige BRE
- Zuschlag für den Basistarif (im Basistarif auch Tau-Zuschlag)
- Zuschlag für den Standardtarif
- Umrechnung in Stückkosten
- Übertrittswahrscheinlichkeiten zur Berechnung des Übertragungswertes nach § 14 KVAV („internes“ oder „externes“ Modell)
- Gleiche Rechnungsgrundlagen für Prämien-/Alterungsrückstellungsberechnung (§ 3 KVAV)
- Beitragsmodifikationen (z.B. Skonto)
- Tarifsonderformen
- Anwartschaftsversicherung
- Kollektivversicherung (R2/97), z.B. Gruppen-, Sammelinkasso-, Mitarbeiterversicherung
- Dokumentation (§ 9 KVAV)
- Prämienberechnung (§§ 10, 11 KVAV / § 146 Absatz 2 VAG)
- AF-Verfahren (§ 15 und § 16 KVAV)
- Alterungsrückstellung (§ 18 KVAV)
- Verstöße gegen sonstige gesetzliche Bestimmungen (z.B. Gleichbehandlungsgrundsatz, Begünstigungsverbot)
- Ursachen der Schadenbedarfsveränderung / Ausschluss einer vorübergehenden Entwicklung / Ausschluss einer „nachholenden“ BAP i.S.v. § 155 Absatz 3 Satz 4 VAG (Risikogerechtigkeit der bisherigen Rechnungsgrundlagen)
- Auswirkung der BAP auf die Bestandsbeiträge
- in %
- in EUR
- Limitierungsform / dem Tarif angemessene Limitierungsmittel aus RfB / Prüfung der Limitierungsmaßnahmen nach Maßgabe des § 155 Absatz 2 VAG
(Beachtung der Satzungs- und AVB-Bestimmungen / ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten / angemessene Verteilung der Limitierungsmittel auf die Versichertenbestände mit bzw. ohne gesetzlichen Zuschlag / Zumutbarkeit der prozentualen und absoluten Beitragssteigerungen für ältere Versicherte)
- Sonstiges
Anmerkung:
Wenn dem Treuhänder bei der TB-Prüfung Fehler oder „Ungereimtheiten“ zu Umständen auffallen, die nicht direkt mit der zu prüfenden Beitragsanpassung zu tun haben (z.B. bei der Behandlung von „individuellen Umstufungen“) und die somit auch nicht zu einer Verweigerung der BAP-Zustimmung berechtigen, soll er mit Hinblick auf das Verständnis des Treuhänders als „Interessenvertreter der Versicherten“ entsprechende Hinweise an den Versicherer geben.